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wegen Insolvenz geschlossenZwei Wochen nach dem Quelle-Aus weicht die erste Schockstarre in Fürth langsam vorsichtig optimistischen Zukunftsvisionen. Oberbürgermeister Thomas Jung spricht im Unternehmer.de-Interview über persönliche Betroffenheit, langfristige Pläne und fränkische Stehauf-Mentalität.

Von Unternehmer.de-Reporterin Linda Csapo

Herr Oberbürgermeister, auf den Tag genau vor zwei Wochen kam die Nachricht über die endgültige Abwicklung von Quelle. Wie haben Sie davon erfahren?

Thomas Jung: An dieses Wechselbad der Gefühle kann ich mich noch ganz genau erinnern. Ich habe an jenem Abend zunächst das Fußballspiel Greuther Fürth gegen Union Berlin verfolgt – Fürth hatte 2:1 gewonnen, als großer Fan war ich darüber natürlich in Feierlaune. Danach schalte ich um auf die Tagesthemen und muss dort erfahren, dass es für Quelle plötzlich keine Rettung mehr gibt und der zweitgrößte Arbeitgeber meiner Stadt abgewickelt werden soll. Das hätte so in dieser Form einfach nicht passieren dürfen. Der Insolvenzverwalter hätte vorher auf jeden Fall mindestens dem Ministerpräsidenten Bescheid sagen müssen, und über das Wirtschaftsministerium wären wir dann auch informiert worden. Aber so hatte das einfach keine Art. Selbstverständlich geht es mir dabei nicht nur um mich. Alle Betroffenen, die jetzt ihren Arbeitsplatz verlieren, überhaupt die gesamte Region, wurden über dieses Desaster erst durch die Nachrichtensendungen informiert.

Wie Sie selbst einmal gesagt haben, war Quelle mehr als nur ein Unternehmen. Es war ein Teil von Fürths Identität. Bis zu 2000 Fürther waren bei Quelle angestellt –  das sind rund 1,5 Prozent der Stadtbevölkerung. Welche Wellen schlägt die Quelle-Pleite in Fürth?

Thomas Jung: Jede Fürther Familie kennt mindestens eine Person, die bei Quelle gearbeitet hat. Allein in meinem engeren Bekanntenkreis gibt es sieben Menschen, die jetzt auf der Straße stehen. Quelle war aber nicht nur eines der größten und ältesten, sondern auch eins der beliebtesten Unternehmen unserer Stadt: Das war ein Arbeitgeber, auf den sich ganze Generationen verlassen konnten. Viele Eltern haben ihren Kindern geraten, auch bei Quelle anzufangen: ‚Geh doch zu Quelle, dort ist es sicher’, hieß es über Jahrzehnte hinweg. Und genau das ist es, was die Sache jetzt so besonders schlimm macht: Mit der Abwicklung sind nun zahlreiche Familien gleich in mehreren Generationen betroffen. Da sind in vielen Fällen Vater, Mutter, Kind auf einen Schlag alle arbeitslos geworden.

Gibt es denn seitens der Stadt Fürth schon konkrete Pläne, wie den Betroffenen geholfen werden kann?

Thomas Jung: Wir – also die Städte Nürnberg und Fürth – haben der Landesregierung in München bereits zahlreiche Vorschläge unterbreitet. Ich gehe davon aus, dass etliche unserer Ideen aufgegriffen werden, und zwar noch vor Weihnachten. Es gibt von uns jedenfalls sehr breitgefächerte Ansätze: So planen wir zum Beispiel ein neues Zentrum für junge, aufstrebende Unternehmen – ganz nach dem Vorbild von „Complex“, einem sehr erfolgreichen Gewerbehaus in Fürth, das seit 2001 in einem vielseitigen Branchenmix aus Industrie, Handel und Dienstleistung über 30 Unternehmen unter einem Dach vereint.

Zudem wollen wir ein neues Gewerbegebiet auf der Hardhöhe erschließen, das für neue Firmen sehr interessant werden wird. Eine große Fürther Firma möchte darüber hinaus neu bauen und braucht hierfür Unterstützung bei den Übergangszinsen – auch hier befinden wir uns in Gesprächen. Und schließlich soll sich Fürth auch als Wissenschaftsstandort weiterentwickeln und neue Institute bekommen. Das war bereits nach der Grundig-Pleite ein großer Erfolg: Auf dem ehemaligen Grundig-Gelände sind schließlich Universitätseinrichtungen entstanden, die langfristig für viele neue Jobs in dem Umfeld gesorgt haben.

OB Dr. Thomas Jung

Stichwort Grundig: Sie haben im Kampf um Quelle stets vor einem „Zweiten Grundig“ gewarnt. Kann man denn nun, wo der Kampf verloren ist, aus dem Fall Grundig Lehren ziehen – im Guten wie im Schlechten?

Thomas Jung: Ganz kann man die beiden Firmenpleiten und deren Auswirkungen natürlich nicht miteinander vergleichen.  Denn Grundig war – je nach Perspektive – sowohl schwieriger, als auch leichter zu bewältigen, als die jetzige Quelle-Katastrophe: Bei Grundig verloren damals  größtenteils schwer vermittelbare, ungelernte Arbeitskräfte ihren Job. Bei Quelle dagegen sind die qualifizierten Arbeitsplätze in der Überzahl – hier hat fast jeder der Betroffenen eine Ausbildung und somit gute Chancen, wieder einen Job zu finden.

Andererseits war es bei Grundig damals ein Sterben auf Raten: Der Niedergang erstreckte sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren; erst wurde die eine, dann die andere Abteilung geschlossen. Das gab uns damals natürlich mehr Zeit, um zu reagieren. Jetzt aber – und das ist wohl beispiellos – stehen innerhalb von wenigen Tagen 4.000 Menschen plötzlich vor dem Nichts. Das ist eine gewaltige Herausforderung.

Es gab im Zuge der Abwicklung von Quelle eine Fülle von Schuldzuweisungen und Fehleranalysen. Was glauben Sie, woran das Traditionsunternehmen wirklich gescheitert ist?

Thomas Jung: Gründe gibt es viele. Eine der Hauptursachen war jedoch sicherlich, dass schon die Fusion von Karstadt und Quelle meines Erachtens nach Unsinn gewesen ist: Das waren zwei Kranke, die sich an die Hand genommen hatten. Aber zwei Kranke ergeben zusammen noch lange keinen Gesunden, im Gegenteil. Hinzu kommt natürlich auch noch, dass das Thema Internet und Online-Handel bei Quelle nicht mit der Aufmerksamkeit umgesetzt wurde, die in unserer heutigen Zeit erforderlich gewesen wäre. Aber auch Vorstandsvorsitzender Middelhoff hat gravierende Fehler begangen: Er hat mit den Kaufhäusern die Substanz des Unternehmens veräußert! Das halte ich nach wie vor für eine katastrophale Fehlentscheidung. Ein Unternehmen, das über keine einzige eigene Immobilie mehr verfügt, schwebt quasi im leeren Raum und ist ausgeliefert.

Ganz schlimm fand ich aber auch die Einschätzung von Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg: Seiner Meinung nach stellte die Insolvenz für Quelle auch eine Riesenchance dar. Was für ein Unsinn! Eine Insolvenz kann gerade für ein Handelsunternehmen keine Chance sein, im Gegenteil! Handelsunternehmen leben vom Vertauen der Kunden, und sobald das böse Wort „Insolvenz“ fällt, liegt ein Vertrauensbruch vor. Diesen verzeihen die Kunden nicht so schnell, und sie bleiben erstmal einfach weg.

Was glauben Sie – warum wurde Opel mit Regierungshilfen vom Staat gerettet, und Quelle nicht?

Thomas Jung: Diese Frage muss man wirklich stellen. Bei der Rettung von Opel hat Geld nie eine Rolle gespielt – obwohl es da um 4.500 Millionen, 4,5 Milliarden ging! Diese Summe wurde problemlos bereitgestellt. Als es bei Quelle jedoch um die Abwendung der Insolvenz und um den – vergleichsweise niedrigen – Massekredit im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich ging, gab es große Probleme. Mit dieser Summe hätte man jedoch viel Unheil abwenden können. Jetzt müssen der Freistaat Bayern und die Bundesrepublik Tausende von arbeitslosen Menschen finanzieren. Wahrscheinlich fällt die Rechnung hierbei weit höher aus, als eine Firmenrettung gekostet hätte.

Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz hat sich bislang sehr zurückgehalten und nach dem endgültigen Aus von Quelle gar nicht mehr geäußert. Wie schätzen Sie dieses Verhalten ein?

Thomas Jung: Nun, Frau Schickedanz hat sich über das Schicksal der Quelle-Beschäftigten durchaus sehr betroffen gezeigt. Sie wurde öffentlich vielfach falsch zitiert und missverstanden. Fakt ist: Sie selbst hat ihr Vermögen in erheblichem Umfang verloren. Es wird oft vergessen, dass sie einen Großteil ihres Privatvermögens auf eigenes Risiko in das Unternehmen gesteckt hat – und so etwas tun nicht viele Unternehmer. Die meisten vollziehen eine strikte Trennung zwischen Unternehmen und privatem Vermögen. Darüber hat sie sich hinweggesetzt. Sie hat unbeirrt hohe Schulden auf sich genommen, um Quelle zu retten, und dabei alles auf eine Karte gesetzt. Dass es letztlich nichts gebracht hat, hat auch für sie katastrophale Auswirkungen. Sie ist heute jedenfalls sicherlich niemand mehr, der über ein großes Vermögen verfügt.

Eine hervorragende Infrastruktur, eine strategisch günstige Lage, eine hohe Lebensqualität – dennoch geht in Mittelfranken ein Großunternehmen nach dem anderen pleite; überregional spricht man mittlerweile sogar von einer „Katastrophenregion“. Wie konnte es dazu kommen, dass diese wunderbare Region derart schwächelt?

Thomas Jung: Unsere Region schwächelt zwar einerseits, andererseits schafft sie es aber auch immer wieder, nach Niederlagen stets stärker denn je aufzustehen. Nehmen wir noch einmal das Beispiel Grundig: 10.000 Stellen wurden insgesamt schleichend abgebaut, die Arbeitslosigkeit schnellte auf bis zu 13,8 Prozent hoch. Doch wir konnten durch geschickte Zukunftsstrategien wieder neue, hochqualifizierte Jobs schaffen, die wiederum weitere Arbeitsplätze im mittleren Segment nach sich zogen. Nach der Grundig-Pleite sind 3.000 neue  Jobs entstanden; die Arbeitslosenquote konnte langfristig insgesamt mit sechs Prozent mehr als halbiert werden.

Und auch wenn sie jetzt nach der Quelle-Abwicklung zunächst wieder steil nach oben schnellt und wir im Winter wieder mit einer zweistelligen Quote zu rechnen haben – unsere Region wird auch das verkraften, ebenso wie den Untergang von Grundig, Triumph Adler und AEG. Denn wir sind im Kern eine gesunde Region und gehören nach wie vor zu den zehn bedeutendsten Wirtschaftsregionen der Bundesrepublik. Wir werden von einem starken, stabilen Mittelstand getragen und werden auch diese Krise gestärkt überstehen.

Herr Oberbürgermeister Jung, wir bedanken uns für dieses Gespräch!

Lesen Sie mehr über den tiefen Fall von Quelle im Unternehmer.de-Dossier:

Quelle-Pleite: Nürnberg in Nöten

Die Tragödie der Traditionsunternehmen

Linktipps

Mittelstand Wissen: Unternehmensfinanzierung

Mittelstand Wissen: Online-Handel

(Bild: © Markus Bormann – Fotolia.com)

(Foto: Stadt Fürth)

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