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Die wirtschaftlich nachvollziehbare Vorgehensweise, zur Vermeidung von Sozialversicherungsbeiträgen Selbstständige zu beschäftigen, kann sich als teurer Boomerang erweisen.

Denn nur wenn tatsächlich selbstständige Dienst- oder Werkleistungen erbracht werden, ist sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer von der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen befreit. Das gewählte Vertragsverhältnis ist hierfür nicht maßgeblich, oft ist es nicht das Papier wert, auf dem es geschrieben ist.

Allein maßgeblich ist, wie das „Beschäftigungsverhältnis“ gelebt, also im Alltag durchgeführt wird.

1. Kriterien für die Scheinselbstständigkeit

Früher gab es gemäß § 7 Abs. 4 SGB IV einen Katalog von fünf Merkmalen. Bei der Erfüllung von drei dieser fünf Merkmale durften die Sozialversicherungsträger vermuten, dass eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Dieser Paragraph ist ersatzlos gestrichen worden mit der Folge, dass nunmehr die Sozialversicherungsträger eine solche Vermutung nicht mehr anstellen dürfen, sondern positiv beweisen müssen, dass eine Scheinselbstständigkeit vorliegt.

Obwohl dieser Paragraph gestrichen worden ist, bemisst sich in der Regel das Vorliegen der Scheinselbstständigkeit nach wie vor nach folgenden Kriterien:

  • Der Selbstständige hat keine regelmäßig Beschäftigten, wobei geringfügig Beschäftigte (so genannte € 400,00-Jobs) nicht berücksichtigt werden.
  • Die Tätigkeit wird auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber ausgeführt. Hier ist der Begriff „im Wesentlichen“ grundsätzlich erfüllt, wenn der Selbstständige mindestens 5/6 seines Umsatzes mit einem Auftraggeber erzielt.
  • Der Auftraggeber hat selbst Beschäftigte, die dieselbe Tätigkeit verrichten wie der Selbstständige.
  • Der Selbstständige unterliegt den Weisungen des Auftraggebers und ist in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden. Indizien hierfür sind, dass keine eigene unternehmerische Tätigkeit des Selbstständigen vorliegt und dieser kein eigenes Unternehmen (Büroräume, Firmenschild, Briefpapier) unterhält. Daher ist eine Scheinselbstständigkeit auch anzunehmen, wenn der Selbstständige in der Arbeitskleidung des Auftraggebers auftritt.
  • Der Selbstständige hat die Tätigkeit beim Auftraggeber zuvor als dessen Arbeitnehmer verrichtet.

2. Beginn der Sozialversicherungspflicht und Rückforderungsansprüche

Wird durch die Sozialversicherungsträger eine Scheinselbstständigkeit festgestellt, so tritt die Sozialversicherungspflicht rückwirkend mit Aufnahme der Tätigkeit ein. Der Auftraggeber ist verpflichtet, die ausstehenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung rückwirkend bis zu vier Jahre zu bezahlen. Diese rückwirkende Zahlungspflicht hat sich bereits für viele Unternehmen als existenzvernichtend ausgewirkt. Aktuelles Beispiel ist ein Verfahren vor dem Landgericht Essen. Dort muss sich ein Bauunternehmer verantworten, der laut Anklage seine Subunternehmer von 2005 bis 2009 als Selbständige beschäftigt hatte, obwohl diese seine Arbeitsanweisungen zu befolgen hatte. Die Beschäftigten seien aber, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, tatsächlich nicht selbständige Gewerbetreibende gewesen, sondern weisungsgebundene Arbeitnehmer. Der Schaden soll 1,2 Millionen Euro betragen. Der Beschuldigte war bei einer normalen Betriebsprüfung aufgefallen.

3. Arbeits- und Steuerrecht

Bei der Feststellung von Scheinselbstständigkeit kann der Scheinselbstständige seinen Arbeitnehmerstatus vor Gericht einklagen. Wird dieser Arbeitnehmerstatus zuerkannt, hat er damit zwangsläufig auch alle arbeitsrechtlichen Rechte und Pflichten eines abhängig Beschäftigten. Dies betrifft insbesondere Urlaubsansprüche, Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutz etc.. Stellt sich daher nachträglich heraus, dass ein angeblich Selbstständiger tatsächlich Arbeitnehmer ist, so trifft den Arbeitgeber nicht nur die nachträgliche Abführung der Sozialversicherungsbeiträge, sondern es tritt u.a. als weitere Folge bei einem z.B. vier Jahre dauernden Arbeitsverhältnis auf dass der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht ohne Kündigungsgründe (Ausnahme hiervon gegebenenfalls Kleinbetriebe) und Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist kündigen kann.

Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Scheinselbstständige für die innerhalb der beispielhaften vier Jahren gezahlten Vergütung lohnsteuerpflichtig ist.

4. Weitere Folgen

Mit Feststellung der Scheinselbstständigkeit endet die unternehmerische Tätigkeit. War für diese Tätigkeit ein Gewerbeschein erforderlich, so ist das Gewerbe beim zuständigen Gewerbeamt abzumelden. Auch gegebenenfalls existierende Mitgliedschaften in der Industrie- und Handelskammer enden zu diesem Zeitpunkt.

5. Arbeitnehmerähnliche Selbstständige

Arbeitnehmerähnliche Selbstständige sind zwar „echte“ Selbstständige, sie unterliegen aber der Rentenversicherungspflicht. Die Kriterien sind ähnlich wie bei Scheinselbstständigen, nämlich die regelmäßige Vergütung beträgt mehr als € 400,00 und die Tätigkeit wird auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber (Faustregel: 5/6 des Umsatzes werden nur über einen Auftraggeber erzielt) ausgeführt. Wird der Selbstständige nur projektbezogen oder auf eine bestimmte Zeit beschäftigt, so ist das Merkmal „im Wesentlichen“ nicht erfüllt.

6. Fazit

Die vertragliche Gestaltung des „Beschäftigungsverhältnisses“ spielt keine Rolle. Dagegen ist die Gesamtsituation nach dem oben dargestellten Kriterien zu überprüfen.

Der Deutsche Rentenversicherung Bund (www.Deutsche-Rentenversicherung.de) hat einen Katalog bestimmter Berufsgruppen zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit herausgegeben. Dieser Katalog erleichtert eine erste Einordnung. Er ist jedoch nicht zwingend und dogmatisch anzuwenden. Im Einzelfall können bestimmte Merkmale bzw. die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses zu einer abweichenden Beurteilung führen, so dass die Katalogisierung der Deutschen Rentenversicherung Bund nicht mehr anwendbar ist.

Arbeit- bzw. Auftraggeber sind gut beraten, vor Beginn einer Zusammenarbeit mit einem Selbstständigen ihr Hauptaugenmerk darauf zu richten, dass die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses wenn möglich keines der oben genannten Kriterien erfüllt.

Philip Keller

Der Autor ist vorwiegend auf den Gebieten des Arbeits-, Leasing- und Vertragsrechts tätig. Mit den Kooperationspartnern BHKS Rechtsanwälte Köln decken wir zudem die Gebiete des Insolvenzrechts, Wohnungseigentumsrechts, Familienrechts und Wirtschaftsstrafrechts ab. Sie erreichen den Autor unter Tel.: 0221 – 2825562 oder per E-Mail: ke@kanzlei-rakeller.de. Weitere Informationen, insbesondere zu den Tätigkeitsschwerpunkten erhalten Sie unter www.kanzlei-rakeller.de.

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One Comment

  • Vielen Dank für den Interessanten Artikel. Obwohl der Katalog abgeschafft wurde sind es weiterhin die gleichen Kriterien. Nur das jetzt wohl die Beweislast bei den Sozialversicherungsträgern ist, und eine Vermutung nicht mehr ausreicht.

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