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Das neue deutsche „Wirtschaftswunder“ täuscht über einen Fakt hinweg: In der Liga der weltweit innovativsten Firmen sind unsere Unternehmen allenfalls Mittelmaß. Der Aufschwung beruht auf Ideen von gestern. Gegen die weltweit innovativsten Firmen haben deutsche Unternehmen kaum eine Chance.

Wer wird gewinnen? Auf dem weltweiten Handy-Markt liefern sich Apple, Google, Nokia und Microsoft derzeit eines der spannendsten Rennen der globalen Wirtschaft. Wer wird den Markt um das Handy der Zukunft für sich entscheiden? Der jahrelange Weltmarktführer Nokia hat den Trend zu Smartphones verpasst. Microsoft musste sein selbst entwickeltes Mobiltelefon wieder vom Markt nehmen und versucht mit Windows-Phone 7, verlorenen Boden gutzumachen.

Wer auch immer den Kampf um Smartphones gewinnt, sicher ist: Deutschlands Unternehmen verfolgen den Wettbewerb nur als Zaungäste. Mit dem enormen Innovationstempo der Branche können sie seit Jahren nicht mehr Schritt halten. Bittere Wahrheit ist: Mit ihren perfekten Prozessen und der nach wie vor überragenden Qualität sind deutsche Unternehmen in vielen Bereichen der Wirtschaft zwar Weltmarktführer. Doch wenn es darum geht, schnell neue Ideen zu generieren und erfolgreich auf den Markt zu bringen, sind sie bestenfalls Mittelklasse.

Eine Gefahr für die Zukunft: Denn das alte und das neue deutsche Wirtschaftswunder beruhen vor allem auf Produkten, die zwar in jahrelanger deutscher Ingenieurskunst perfektioniert wurden, aber im Kern nach wie vor die alten Produkte sind. Die letzten großen Innovationen aus der Automobilbranche sind der Tata Nano (Indien), das Elektroauto von Tesla (USA) und Geschäftsmodelle wie Project Better World vom ehemaligen SAP-Chef Shai Agassi (Israel).

Deutsche Unternehmen betreiben zwar einen immensen Aufwand an Forschung und Entwicklung, doch ihre konservativen Strukturen sind nicht dafür gemacht, wirklich bahnbrechend Neues zu entwickeln. Noch hat Deutschland Ideen und noch funktioniert die Verbesserung des Bestehenden. Im internationalen Wettbewerb schmilzt jedoch der Vorsprung.

Eine Studie der weltweit innovativsten Unternehmen, die 2010 an der Handelshochschule Leipzig durchgeführt wurde, ergab: Um im globalen Wettbewerb der Ideen bestehen zu wollen, brauchen Deutschlands Firmen neue Strukturen. Sie müssen folgenden Spagat schaffen: Einerseits die perfekten Prozesse aufrecht erhalten, die sie so erfolgreich machen, und andererseits sicherstellen, dass die perfekten Prozesse, die primär auf Effizienz und Fehlerminimierung setzen, das Entstehen neuer Ideen nicht systematisch verhindern.

Die Studie der weltweit innovativsten Unternehmen zeigte, dass vor allem folgende vier Faktoren die deutschen Unternehmen im globalen Ideenwettbewerb behindern:

Innovationsbremse 1: starre Strukturen

Die meisten deutschen Unternehmen sind durch klare Zuständigkeiten und Hierarchien geprägt. Die Entwicklung ist für neue Produkte zuständig, die Produktion sorgt für eine berechenbar hohe Qualität, das Marketing entwickelt die Prospekte und der Vertrieb bringt es an den Mann. So funktioniert, vereinfacht formuliert, ein Großteil der Unternehmen. Dieses Bereichsdenken macht Unternehmen äußerst effizient – eines der Buzzwords des Managements. Zugleich ersticken diese Strukturen jedoch den größten Teil des kreativen Potentials. Ideen entstehen immer dort, wo Grenzen aufeinander stoßen und Reibung entsteht. Der deutsche Dienstweg erschwert jedoch genau diesen Austausch zwischen verschiedenen Bereichen.

Unternehmen wie Amazon oder der südkoreanische Samsung-Konzern machen vor, wie es anders geht: Als in den verkrusteten Strukturen von Karstadt und Hertie noch darüber diskutiert wurde, wie und in welchem Umfang das Internet Konsumenten in Zukunft beeinflussen wird, setzte Amazon-Chef Jeff Bezos bereits auf vollkommen neue Unternehmensstrukturen: kleine wendige Teams mit einem hohen Grad an Verantwortung, die er nach der „2-Pizza-Regel“ zusammenstellte: Sobald ein Team mehr als 2 Pizzas essen kann, wird es geteilt.

Samsung, bis in die 80er Jahre als Anbieter billiger Elektrogeräte bekannt, hat in den vergangenen Jahren einen erstaunlichen Wandel vollzogen, durch den auch deutsche Traditionsunternehmen wie Grundig möglicherweise überlebt hätten: Das Unternehmen startete eine Ideenoffensive und richtete auf der gesamten Welt Design-Center ein. Dort werden Innovationen häufig nach dem Prinzip der Papstwahl entwickelt: Designer und Techniker bleiben solange im Design-Center, bis die Innovation fertig entwickelt ist. Amazon, Samsung und viele der weltweit innovativsten Unternehmen haben erkannt, dass der Faktor Zeit bei Innovationen eine wichtige Rolle spielt. Deutsche Unternehmen mit ihren behäbigen Strukturen und langen Abstimmungsprozessen sind in diesem Wettbewerb chancenlos – wie ein 100 Meter-Läufer mit Bleikugeln an den Beinen.

Innovationsbremse 2: die Regelwut

Regelfreie Zonen sind in deutschen Unternehmen nahezu unbekannt. Wer Ideen hat, soll sie gefälligst in den dafür vorgesehenen Prozess einbringen. Den Vordruck (modern: Template) ausfüllen und an die zuständigen Gremien weiterleiten, die dann über den Vorschlag beraten. In vielen Unternehmen ähneln das Ideen- und Innovationsmanagement mittlerweile einem bürokratischen Monster. Es gibt genaue Vorschriften, wie Ideenformulare auszufüllen und Ideen zu begründen sind, welchen potentiellen Ertrag sie in drei Jahren bringen müssen und wie sie umzusetzen sind. Was für ein Unterschied zu Unternehmen wie 3M oder Google, in denen Mitarbeiter freie Zeit bekommen, um an eigenen neuen Ideen zu arbeiten.

Die deutsche Ideenbürokratie übersieht einen wichtigen Punkt: Ideen kommen nicht als fertiges iPhone auf die Welt. Sie müssen entwickelt, von verschiedenen Seiten betrachtet und in unterschiedlichen Versionen immer wieder getestet werden, bevor sie eine Marktreife erlangen. In dieser Zeit brauchen sie etwas, was im Tierreich den Namen „Welpenschutz“ trägt: einen geschützten Raum, in dem sie in Ruhe reifen können.

Das Innovationsmanagement zahlreicher deutscher Unternehmen sieht genau das nicht vor. Statt Ideen kreativ zu entwickeln, werden Excel-Tabellen ausgefüllt – mit etwas, das in Fachkreisen „Voodoo-Businessplan“ genannt wird: den Finger in die Luft halten und raten, welchen Umsatz ein neues Produkt wohl in drei Jahren bringen könnte. Der Realitätsgehalt dieser Businesspläne ist oft ähnlich hoch wie der von Grimms Märchen – ein Grund, warum Google Ideen oft auf den Markt bringt, ohne ein konkretes Businesskonzept zu haben. Google vertraut darauf, dass für Ideen, die sich bewähren, mit Sicherheit ein neues Geschäftsmodell entwickelt werden wird.

Weitere Artikel dieser Serie:

Deutschland gehen die Ideen aus (Teil II)

(Bild: © Martin Green – Fotolia.com)

Dr. Jens-Uwe Meyer

Dr. Jens-Uwe Meyer ist Geschäftsführer der Innolytics GmbH, Buchautor und Keynote Speaker. Als Unternehmer entwickelt er Software für Unternehmens- und Organisationsentwicklung. Er ist Autor von 11 Büchern zum Thema Innovation. Sein Buch „Digitale Gewinner“ erschien 2019 im Verlag BusinessVillage.

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