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Bilanzen lesen, Kostenrechnungen erstellen, Paragrafen interpretieren – die meisten Ingenieure und Naturwissenschaftler haben das im Studium nicht gelernt. Deshalb fehlt ihnen oft das nötige betriebswirtschaftliche und juristische Überblickswissen, um Unternehmensbereiche zu führen. Schwer fällt ihnen häufig auch das Führen von Mitarbeitern. Denn diese ticken anders als Maschinen.

Bis vor wenigen Jahren war die Karriere von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern weitgehend vorgezeichnet. Für sie war in den Unternehmen die Fachlaufbahn bestimmt.

Bestenfalls konnten sie Leiter einer Forschungs- & Entwicklungsabteilung oder einer Produktionsstätte werden. Doch dann war ihr Aufstieg meist beendet. Die oberen Sprossen der Karriereleiter waren für Juristen und Betriebswirte reserviert – zumindest wenn die Unternehmen keine produzierenden waren.

Denn die obersten Unternehmensführer trauten den Ingenieuren das Leiten größerer Unternehmensbereiche nicht zu – vor allem, weil ihnen während ihres Studiums wenig betriebswirtschaftliches Know-how vermittelt wurde.

Auch in das Einmaleins der Personalführung wurden sie nicht eingeführt. Hinzu kam: In vielen Unternehmen dominierte vor wenigen Jahren noch vielfach das Denken: Vor allem das Marketing und der Vertrieb sind für den Erfolg eines Unternehmens entscheidend. Deshalb stiegen eher smarte Marketingexperten als spröde Techniker in die Beletage der Unternehmen auf.

Technisches Know-how ist gefragt

Diese Zeiten sind vorüber. In den meisten Unternehmen fand in den vergangenen zehn Jahren ein Umdenken statt. Technisches Know-how ist wieder gefragt. Denn viele Firmen haben erkannt: Wenn wir uns am Markt behaupten wollen, müssen wir unseren Kunden innovative und intelligente Problemlösungen bieten.

Also müssen in unserer (obersten) Führungsetage auch „Experten“ sein, die mit ihrem technischen Sachverstand einschätzen können:

  • Welche Ansatzpunkte für das Entwickeln neuer Produkte hat unser Unternehmen?
  • Wie wird die technologische Entwicklung in den kommenden Jahren verlaufen? Und:
  • Welche neuen Problemlösungen ermöglicht der Stand der Technik?

Doch nicht nur zum Definieren des (künftigen) Geschäftsfelds ist technisches Know-how nötig; auch zum Abschätzen, inwieweit sich aufgrund technischer Neuerungen die Geschäftsprozesse eventuell effektiver gestalten lassen. Sonst über- oder unterschätzen Unternehmen schnell die Chancen, die sich aus dem technischen Fortschritt ergeben. Oder sie nehmen diese erst gar nicht wahr und verspielen leichtfertig mögliche Kosten- und Qualitätsvorteile.

Das haben viele Firmen erkannt. Deshalb gelangten in den zurückliegenden Jahren mehr Ingenieure, Naturwissenschaftler und IT-Experten in obere Führungspositionen. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Das zeigt ein Blick auf die Zusammensetzung der Förderkreise für den Führungsnachwuchs in den Unternehmen. In ihnen sind heute weit mehr Ingenieure als noch vor wenigen Jahren vertreten.

Von der Fach- zur Führungskraft entwickeln

Ungeachtet dessen stellt die Übernahme einer qualifizierten Führungsposition einen tiefen Einschnitt in der berufliche Laufbahn eines Ingenieurs oder Naturwissenschaftlers dar. Meist erfolgt ihr Berufseinstieg über eine Fachfunktion. Erst wenn sie darin und in mehreren Projekten ihre Fähigkeiten bewiesen haben, erfolgt der Wechsel in eine Führungsposition. Dann kommen ganz neue Anforderungen auf die Ingenieure und Naturwissenschaftler zu.

Als Fachkraft war vor allem ihr technisches Know-how gefragt. Kollegen und Vorgesetzte suchten ihren Rat, weil sie über Experten-Wissen verfügten. Hierüber definierten sie auch ihre Rolle. Als Führungskraft hingegen müssen sie nicht mehr in erster Linie fachliches Können beweisen. Statt Spezialisten sollen sie nun Generalisten sein. Ihre zentrale Aufgabe ist, ihren Bereich mit Erfolg zu führen. Dies setzt ein breiteres Wissen als eine reine Fachfunktion voraus.

Nötig ist hierfür unter anderem betriebswirtschaftliches Know-how. Denn zu den Aufgaben eines Bereichsleiters zählt es auch, Kostenrechnungen oder Kalkulationen zu erstellen. Zudem muss er betriebswirtschaftliche Kennzahlen interpretieren können. Sonst kann er nicht sicherstellen, dass sein Bereich effizient und profitabel arbeitet.

Bereichsleiter brauchen auch juristisches Know-how – nicht nur im personalrechtlichen Fragen. Auch in solchen juristischen Feldern wie Umweltrecht, Produkthaftung/-sicherheit und Urheberrecht müssen sie ein Überblickswissen haben – zum Abschließen von Verträgen und weil gerade in Produktionsbetrieben aus den gesetzlichen Vorgaben auch Betreiberpflichten resultieren. Nur wenn die Führungskräfte diese kennen, können sie daraus Anforderungen an die Arbeit ihrer Mitarbeiter ableiten.

Geringes Problem: Fehlendes Managementwissen

Diese Wissensbereiche bereiten Ingenieuren in der Startphase als Führungskraft oft einiges Kopfzerbrechen – aber meist nicht lange. Denn zum einen haben sich die ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge gewandelt. In vielen wird den Studierenden heute außer technischem Know-how auch ein betriebswirtschaftliches und juristisches Basiswissen vermittelt. Gestiegen sind zudem die Weiterbildungsangebote für Ingenieure. Fast jedes renommierte Managementinstitut bietet heute auch ein General Management-Programm an.

Aus zwei weiteren Gründen eignen sich Ingenieure das betriebswirtschaftliche und juristische Wissen meist recht schnell an. Es handelt sich hierbei um stark kognitive Lerninhalte. Das heißt: Dieses Wissen können sie weitgehend durch die Lektüre von Büchern erwerben. Besuchen sie dann noch Seminare, in denen sie zum Beispiel üben, Gewinn-Verlust-Rechnungen zu erstellen und Bilanzen zu lesen, verfügen sie über das nötige Know-how.

Schließlich müssen sie juristisch nicht so versiert sein wie ein Jurist und auch im Bilanzwesen müssen sie sich nicht wie ein Controller auskennen. Im Gegenteil: Sie brauchen ein Überblickswissen und ein Gespür für die wirklich wichtigen Zahlen und Paragrafen.

Deshalb haben Ingenieure beim Start als Führungskraft mit den betriebswirtschaftlichen und juristischen Fragen meist weniger Probleme. Anders sieht es im Bereich Personalführung aus. Er bereitet Ingenieuren beim Wechsel in eine Führungsposition in der Regel die meisten Schwierigkeiten. Denn das Führen von Mitarbeitern setzt bei ihnen ein mentales Umschwenken voraus. Als ehemalige Fachleute sind es die jungen Führungskräfte gewohnt, sich in Fachaufgaben zu vergraben. Nun müssen sie diese Aufgaben loslassen und sozusagen „walking around“ die Arbeit ihrer Mitarbeiter koordinieren.

Problemfeld: Menschen führen

Dies setzt ein Umdenken und neue Fähigkeiten voraus. So müssen die jungen Führungskräfte unter anderem das Wissen, die Stärken und das Leistungspotenzial ihrer Mitarbeiter richtig einschätzen lernen. Nur dann können sie diese optimal einsetzen und ihre Zusammenarbeit richtig koordinieren. Außerdem müssen sie mit ihren Mitarbeitern Ziele für ihre Arbeit vereinbaren und ihnen ein Feedback über die gezeigte Leistung geben können.

Dies fällt vielen Ingenieuren und Naturwissenschaftlern, die Führungskraft werden, anfangs schwer – unter anderem, weil sie nicht die nötigen Führungsinstrumente kennen. Über diese können sie sich zwar in Büchern und auf Seminaren informieren. Dies bedeutet aber noch nicht, dass sie diese Tools anschließend im Alltag einsetzen können.

Anders als das betriebswirtschaftliche oder juristische Wissen, das unmittelbar beim Lesen von Bilanzen oder Verträgen Früchte trägt, muss sich das Führungswissen im Umgang mit lebenden Menschen entfalten. Menschen haben aber im Gegensatz zu Bilanzen und Vertragswerken Einstellungen und Emotionen. Außerdem haben sie eigene Interessen. Deshalb zeigen sie nicht nur häufig Widerstände, sie reagieren auch oft (scheinbar) irrational.

Dies gilt nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für soziale Beziehungsgeflechte wie Abteilungen oder Teams. In ihrem Innenleben spielen Eitelkeiten, Eifersüchteleien, Sympathien und Animositäten eine große Rolle.

Menschen und soziale Systeme sind keine Maschinen. Deshalb kommt man im Umgang mit ihnen oft mit einer Wenn-dann-Logik nicht weit. Hier gilt es oft, abhängig von der Situation und vom Gegenüber, völlig verschiedene Verhaltensmuster an den Tag zu legen. Mal muss man loben, mal tadeln. Mal muss man Anweisungen geben, mal Ziele vereinbaren.

Mal muss man hart und konsequent sein, mal eher nachgiebig und flexibel. Und selbst wenn sich ein Verhalten in einer Situation oder bei einer Person bewährt hat, bedeutet dies nicht, dass es bei einer anderen Person oder in einer anderen vergleichbaren Situation ebenfalls zum Ziel führt.

Flexibel auf Personen und Situationen reagieren

Dies zu akzeptieren, fällt vielen Ingenieuren, die eine Führungsfunktion übernehmen, anfangs schwer. Denn sie sind nicht ausreichend für die Vielschichtigkeit menschlichen Handelns sensibilisiert.

Deshalb gelingt es ihnen oft nicht, einen situativen Führungsstil zu praktizieren, bei dem sie einerseits adäquat auf die jeweilige Situation und Person reagieren und andererseits ihren persönlichen Führungsstil bewahren; des Weiteren die Unternehmens- und Bereichsziele ausreichend berücksichtigen.

Häufig zeigen sie aus Unsicherheit einen widersprüchlichen Führungsstil, weil ihnen das Gespür für Situationen und Personen fehlt. Oder umgekehrt: Sie halten starr an einem Verhaltensmuster fest, obwohl die Situation eine andere Reaktion erfordern würde.

Beiden Fallen können junge Führungskräfte durch eine gezielte Vorbereitung auf ihre neue Funktion entgehen. Zum einen indem sie sich das nötige Wissen über bewährte Führungsinstrumente aneignen – denn nur, wer ein Instrument kennt, kann es nutzen.

Dies allein genügt aber nicht. Vielmehr müssen die jungen Führungskräfte auch den Einsatz der Führungsinstrumente trainieren. Nicht an fiktiven Fallbeispielen, sondern anhand realer Beispiele aus ihrem (künftigen) Führungsalltag.

Die jungen Ingenieure sollten von den Unternehmen zudem allmählich an die Übernahme von Führungsfunktionen herangeführt werden – zum Beispiel, indem sie ihnen zunächst die Leitung von Projekt- oder Arbeitsteams überträgt. So ist ein allmähliches Lernen von Führung möglich. Zudem sollten die Unternehmen ihre jungen Führungskräfte nach der Übernahme ihrer Position begleiten.

Hierfür gibt es viele Möglichkeiten. Zum Beispiel können den jungen Führungskräften Coachs oder Mentoren zur Seite gestellt werden, mit denen sie über Führungsprobleme und Probleme beim Wahrnehmen der neuen Rolle sprechen können. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, einen Förderkreis (nicht nur für künftige, sondern auch) für junge Führungskräfte im Unternehmen zu etablieren, in dem Probleme, die sich im Führungsalltag ergeben, erörtert werden.

Wichtig ist aber auch der Aufbau einer Unternehmenskultur, in der es kein Manko ist, im Kollegenkreis offen zu gestehen „Ich habe beim Führen meiner Truppe …“ oder … meines Mitarbeiters ein Problem“. Eine solche Kultur existiert in sehr vielen Unternehmen nicht.

In den meisten Betrieben können Führungskräfte, wenn sie zusammensitzen, zwar jederzeit zu ihren Kollegen sagen „Ich habe ein technisches …“ oder „… juristisches Problem“. Tabu ist es aber, dass eine Führungskraft sagt „Ich komme mit meinem Mitarbeiter x nicht klar“. Mit solchen Problemen lassen die Unternehmen (nicht nur) ihre jungen Führungskräfte meist allein.

(Bild: © ioannis kounadeas – Fotolia.de)

Stefan Bald

Stefan Bald ist Geschäftsführer der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, für die fast 50 Trainer, Berater und Coachs arbeiten (Tel. 07251/989034; Mail: s.bald@kraus-und-partner.de).

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One Comment

  • Ein sehr guter Artikel! Ich bin genauso ein Ingenieur der seit 7 Montaten als Gruppenleiter 10 Mitarbeiter führen darf. Dazu kommen noch Aufgaben die aus fachlichen und „historischen“ Gründen noch nicht delegiert werden können. Aber mit Menschen kann ich meiner Meinung nach doch besser umgehen als es der Autor Ingenieuren zubiligt :-) Es ist eine sehr gute Erfahrung über den eigenen fachlichen Tellerrand blicken zu können!
    Wer diese Chance bekommt sollte sie nutzen … zurück kann man immer wenn man fachlich am Ball bleibt.

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