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Innere Kündigung: Wenn Online-Spiele zum Job werden [Kolumne]Es gibt Dinge, die regelmäßig in unserem Leben auftauchen, so überflüssig sind wie ein Kropf und schnellstmöglich wieder in Vergessenheit geraten sollten: Weltuntergangs-Kometen, aggressive Hunde im Wald, Schweinegrippen, Karies, auch Koch-Shows und Glassplitter in Getränkeflaschen.

Genauso ist es mit Statistiken zur inneren Kündigung von Mitarbeitern. Diese Statistiken messen, ob der Mitarbeiter noch voll dabei ist, wenn er einen Aktenberg abarbeitet oder ob er heimlich twittert oder einen Porno auf dem Smartphone guckt. Oder ob er überhaupt nix guckt und tut.

Schlechte Umfragewerte? – Das sind die Mitarbeiter der Konkurrenz!

Diese Umfragen, die immer dann erhoben werden, wenn sonst nichts los ist, verbreiten Angst und Schrecken und führen uns eindrücklich vor Augen, dass die Welt entweder durch einen Aktien-Crash, den Klimawandel oder innere Kündigungen zugrunde geht: Angeblich hat jeder zweite Arbeitnehmer innerlich gekündigt oder steht kurz davor; oder überlegt es sich zumindest; oder hat schon mal vorsichtshalber nachgelesen, was das überhaupt ist.

Die roten Säulen auf den Auswertungs-Folien auf jeden Fall werden von Jahr zu Jahr länger und die Chefs und Führungskräfte immer blässer. Dann werden hundertfach Workshops und Kommunikations-Offensiven angeschoben oder Kinderspielecken aus dem Boden gestampft. Die Arbeitswelt wird schön gemacht wie ein Balkon mit Geranien – mit einem eindeutigen Ergebnis:

Die roten Säulen werden beim nächstenmal noch länger. Da Untersuchungen zur inneren Kündigung meist flächendeckend erfolgen, kann sich jeder Unternehmer beruhigend in dem Gedanken wiegen, dass diese unmotivierten Kostgänger natürlich ausschließlich bei dem demotivierten Saftladen der Konkurrenz zu finden sind. Diese Interpretation der Lage freilich führt zu dem Ergebnis, dass letztlich, flächendeckend gesehen, die Statistik in sich zusammenbricht und nur ein paar unrasierte und tätowierte Haudraufs übrigbleiben würden, die sowieso niemand haben will.

Das wiederum kann auch nicht sein. Wir sollten zu den Ergebnissen stehen, sie aber viel positiver interpretieren: Denn die innere Kündigung von immerhin fast halb Deutschland führt ja keineswegs dazu, dass Mitarbeiter in Scharen die Unternehmen wechseln. Ganz im Gegenteil. Auch der Krankenstand hat nicht zu-, sondern abgenommen. Offenbar ist die innere Kündigung etwas ganz anderes: Nämlich die Voraussetzung dafür, mich freiwillig zu entscheiden, dort zu bleiben, wo ich gerade bin.

Vertrag mit mir selber

Das überrascht Sie jetzt, oder? Aber so ist es. Obwohl ich überall einen neuen Arbeitsplatz bekommen würde, wenn ich mich bemühe, weil wir einen nachfragegetriebenen Arbeitsmarkt haben, umfasst die innere Kündigung in der Regel konservativ geschätzt – so etwa 100 Kilometer um meinen Arbeitsplatz herum, damit ich ja keinen Vorwand habe, irgendwo anders hingehen zu müssen.

Die innere Kündigung ist also gar keine Kündigung, sondern ein neuer Vertrag mit mir selber: Ich selber entscheide, was ich wie und wie lange mache und wo ich bleibe und mir meine Zeit totschlage und nicht dieser unfähige Vorstand, der ständig nur das Unternehmen umkrempelt, keine Strategie hat und mir auch sonst gestohlen bleiben kann. Neben den offiziellen Arbeitsvertrag packe sozusagen meine eigene Vereinbarung mit mir selber.

So eine innere Kündigung mit anschließender Selbstvereinbarung kann ich getrost abends zwischen Beaujolais und Pinot Grigio auf der Terrasse erledigen, wenn ich nach drei Glas Wein zur Auffassung komme, es sei jetzt mal an der Zeit für die innere Kündigung. Das spart nicht nur Zeit und Kosten für Anwälte und Termine vor Gericht. Auch meine Kollegen halten mich endlich wieder für normal und ich bin zudem total modern: Ich bestimme mich selbst. Das liegt im Trend.

Meist ist keine Gelegenheit zur Selbstbestimmung, aber mit der inneren Kündigung habe ich diesen optimalen Zustand erreicht: Mich von allem zu distanzieren, ohne die ganzen Vorteile aufzugeben, denn die innere Kündigung gilt in der Regel ja nicht der Urlaubsregelung, dem Betriebsausflug, dem Betriebskindergarten, dem Firmenlauf, der Überstundenregelung und der WeihnachtsSause. Das wäre ja noch schöner.

Auch für den Unternehmer ist die innere Kündigung eine gute Sache: Wer nur noch routiniert seine Arbeit runterspult, macht keinen Rabbatz, fordert nicht ständig Kreativität und Selbstverwirklichung und dient damit dem am besten, was das Unternehmen am ehesten braucht: Menschen, die funktionieren. Der Unternehmer wird deshalb, wenn er praktisch denkt, einen Teufel tun, irgendetwas zu verändern. Das wird zwar der Gewerkschaft, der SPD und der Evangelischen Kirche nicht gefallen, die deshalb auch allesamt und ständig Mitglieder verlieren.

Eine Arbeitswelt voll Veränderung statt Stabilität

Aber was wollen wir eigentlich im Büro? Was erwarten wir von dieser Arbeitswelt? Abwechslung, spannende Aufgaben, ein angenehmes Arbeitsklima? Schön. Doch leider ist es immer noch und ganz einfach so, dass wir in der Regel bezahlt werden, um eine vorher definierte Leistung zu erbringen. Nicht mehr und nicht weniger. Kein Unternehmen hat sich je verpflichtet, für unser Glück, unsere Zufriedenheit oder unsere Selbsterfüllung zuständig zu sein. Das definieren wir einzig und alleine selbstherrlich in dem Vertrag mit uns selbst. Logischerweise müssen wir uns dann auch selber darum kümmern. Und das ist – leider – anstrengend.

Wer zu viel von Unternehmen erwartet, wird sich in der globalisierten Welt noch umgucken in den nächsten Jahren. Wir werden schon zufrieden sein, wenn überhaupt noch Arbeit da ist, sobald wir morgens durch die Bürotür schlurfen. Wir werden schon zufrieden sein, wenn wir in der Hochgeschwindigkeitsschleuder noch einigermassen mitbekommen, wo wir – beispielsweise – noch Fernsehen: Auf dem Smartphone, der Uhr oder auf der Frontscheibe des Autos? Wir werden froh und glücklich sein, wenn wir noch irgendetwas finden, was verlässlich ist, auch wenn es nicht so toll ist wie wir uns das wünschen.

Alles ist heute auf Abnutzung ausgelegt: Kühlschrank, Hochdruckreiniger und meist auch der Partner. Aber erst, wenn das Wort „verlässlich“ nicht mehr in Wikipedia auftaucht, sondern vollends durch einen Verweis auf das Wort „Veränderung“ ersetzt worden ist, werden wir verstehen, dass genau dieser Paradigmen-Wechsel, den wir alle täglich und fröhlich fördern, der Grund für die vielen inneren Kündigungen ist. Erst wenn Stabilität und Verlässlichkeit auch in Unternehmen wieder als Wert gewürdigt werden, brauchen wir keine Vereinbarungen mehr mit uns selber. Dann reicht der eigentliche Arbeitsvertrag.

(Bild: © grivina – istockphoto.com)

Dr. Klaus-Ulrich Moeller

Dr. Klaus-Ulrich Moeller ist Kommunikationsberater, Kolumnist, Speaker und Autor. Er war PR-Chef bei der Deutschen Lufthansa, der TUI und beim weltweiten Beratungskonzern PricewaterhouseCoopers. Viele Jahre hat er mit Unternehmern im Unternehmernetzwerk Vistage International gearbeitet. Als Journalist schreibt er satirische Kolumnen. Für die Aufdeckung der STERN-Affäre um die gefälschten Hitler-Tagebücher erhielt er den renommierten Theodor-Wolff-Preis. Mehr Informationen unter: www.creative-comm.de.

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