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Mitarbeiter-Delegation im Mittelstand„So geht das nicht weiter!“, ruft der Gründer, Eigentümer und Geschäftsführer ins Telefon; 270 Mitarbeiter, produzierendes Gewerbe, Familienunternehmen. Er klagt: „Zwei Drittel meiner Mitarbeiter arbeiten mit angezogener Handbremse! Druck, Drohungen, Incentives – nichts hilft! Die brauchen professionelle Motivation. Kommen Sie schnell!“ Der hilfesuchend engagierte Executive Coach eilt herbei und bemerkt: Es liegt – typisch – nicht an der Motivation, sondern an der Kontrolle. Das stellt er fest, sobald er mit den angeblich demotivierten Mitarbeitern redet.

Demotivation schlägt Motivation

Beispielhaft ist das, was der Fertigungsleiter, 37 Jahre, zwei Kinder, erzählt: „Ich fahre letzte Woche meine Tochter nachmittags zum Zahnarzt, weil meine Frau krank war. Während ich weg bin, ruft der Geschäftsführer von seiner Geschäftsreise in Frankreich an und kriegt einen Koller.“ Als der Fertigungsleiter zurück ist, herrscht ihn der Chef an: „Was fällt Ihnen ein? Sie fehlen unentschuldigt!“ Wohlgemerkt: Sein Stellvertreter konnte Rede und Antwort stehen, der Geschäftsführer bekam bei seinem Anruf, was er wollte. Ihn störte bloß, dass seine Leute „machen was sie wollen!“ Seither macht der Fertigungsleiter Dienst nach Vorschrift. Einen Headhunter-Kontakt hat er auch schon gehabt.

Strangulative Kontrolle

Noch ein Beispiel: 140 Mitarbeiter, Transportbetrieb, die Tochter führt in der dritten Generation das Unternehmen – nicht mehr lange. Im Coaching sagt sie: „Ich habe mal Wirtschaft studiert. Aber hier bin ich bloß eine bessere Sekretärin.“ Wie neulich zum Beispiel: Einer ihrer LKW bleibt liegen, sie aktiviert den nächstgelegenen Notdienst. Als der Senior das mitbekommt, sagt er: „So haben wir das noch nie gemacht! Wir haben doch unsere Vertragswerkstatt, die macht das viel billiger!“ Ja, aber die sitzt 300 Kilometer von der Havarie entfernt. Die Tochter präferiert Tempo und damit Kundenorientierung vor Kosten – der Senior akzeptiert ihre Entscheidung nicht. Sie sagt: „Er vertraut mir nicht. Warum sollte ich ihm vertrauen? Und ohne Vertrauen keine Zusammenarbeit.“

Das Rambo-Syndrom

Auch wenn die Tendenz klar sein dürfte, ein drittes Beispiel: 90 Mitarbeiter, Laborbedarfsunternehmen. Der Laborleiter sagt: „Alle fünf Minuten schaut mir mein Boss über die Schulter. Warum macht ein normaler Mensch sowas?“ Weil dieser Mensch nicht „normal“ ist. Er hat das Unternehmen gegründet und aufgebaut. Mit eigenen Händen und seinem eigenen Geld auf eigenes Risiko. Das funktioniert nur, wenn man wie Rambo solo in den Dschungel marschiert und alles selber in die Hand nimmt. Weil das im Prinzip so gut funktioniert, wächst so ein KMU normalerweise auch. Und je mehr es wächst, desto mehr Menschen arbeiten für den Erfolgreichen: Der Kontrollaufwand des Einzelkämpfers steigt ins Unermessliche und führt zu den drei eben exemplarisch beleuchteten typischen Kontroll-Pathologien. In Zeiten von Fachkräftemangel und Selbstverwirklichung des modernen Arbeitnehmers bei der Arbeit sind diese Pathologien schlimmere Bedrohungen für KMUs als die Globalisierung und die Billigkonkurrenz der Schwellenländer.

Unsichtbare Gefahr

Den meisten KMU-Inhabern geht es wie dem ersten Geschäftsführer: Sie merken, dass die Leistung ihrer Mitarbeiter nicht optimal ist und erklären sich das mit mangelnder Motivation. Dass es am Rambo-Syndrom liegt, erkennen zwei Drittel nicht. Aus dieser Wahrnehmungs-Sackgasse führen entweder

  • eine gesteigerte oder geschulte Eigenwahrnehmung,
  • eine überdurchschnittliche Feedback-Kompetenz
  • oder die Hilfe eines externen Profis 

heraus. „Soll ich etwa gar nicht mehr kontrollieren?“, fragen sich viele KMU-Geschäftsführer. Nein, das wäre das andere Extrem. Zwischen beiden Extremen liegt die Goldene Mitte: Weder totaler Big Brother noch vertrauensseliges Laissez-faire, sondern intelligente, sprich mitarbeiter- und situationsbezogene Kontrolle.

Es gibt Mitarbeiter und Situationen, da muss man jede Erbse nachzählen, die der Mitarbeiter gezählt hat. Und es gibt Mitarbeiter und Situationen, da sollte man dringend auf die vorab festgestellte Kompetenz des Mitarbeiters und die geringe Risikoneigung der Situation vertrauen und die Zügel auch mal locker lassen. Wie schnell lernt man das? Die Schnellsten sind nach zwei Coaching-Sitzungen so weit, im Schnitt dauert es nicht länger als zwei, drei Monate. Es gibt KMU-Eigner, die schaffen das in einem Tag, weil sie a) die bitteren Konsequenzen des Ramboprinzips erkennen und b) selber ungeheuer von den Folgen des Loslassens motiviert werden: Die Motivation und die Leistung der Mitarbeiter machen wahre Sprünge! Und der Respekt für den Vorgesetzten wächst, obwohl er weniger Druck ausübt.

Klaus Schuster

Klaus Schuster war lange Jahre Vorstand einer internationalen Bankengruppe. Heute berät, coacht und trainiert er mit seinem Unternehmen Topmanager, Junior Executives, High Potentials und Vertriebsmitarbeiter aller Branchen und Bereiche. Zuletzt machte er durch die in Europa bislang einmalige geordnete Abwicklung eines mitteleuropäischen Bankhauses im Auftrag von Zentralbank und EU von sich reden.

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