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Leistung ist ein Wert, der in unserer Gesellschaft mehr als andere zählt. Wer erfolgreich ist, den bewundern wir für das, was er in seinem Leben geleistet hat, für seine richtigen Entscheidungen, für seinen unternehmerischen Weitblick. Den Erfolg lesen wir an den Insignien des erfolgreichen Lebensstils ab: Haus, Auto, Urlaubsreisen, Outfit, gesellschaftliche Auftritte. Die Inszenierung des Erfolgs nehmen wir für den Erfolg selbst. Mehr noch: Wir lieben das Erfolgstheater! Umso schlimmer, wenn die Inszenierung als Bluff auffliegt: Das Geld für Haus, Partys und Urlaube floss aus undurchsichtigen Quellen, die Dissertation stammte nicht aus der eigenen Feder und so weiter. Es ist müßig, die Namen zu nennen, die aktuell am Pranger der Medien stehen. Die Namen wechseln, die Vorwürfe bleiben gleich.

Wir schimpfen auf die Akteure, die sich so dumm anstellen, dass der Bluff auffliegen musste. Wir fordern ihren Rücktritt. Aber wir stellen nicht unser Leistungssystem als solches in Frage. Ein System, das derartige Blüten überhaupt erst hervorbringt. Dabei wissen wir eigentlich: Basis des persönlichen Erfolgs ist häufig nicht Leistung, nicht harte Arbeit. Sondern günstige Startbedingungen in einem gebildeten und gut vernetzten Elternhaus, gefolgt von einer gelungen inszenierten Karriere.

Inszenierung statt Leistung

Denn Leistungsträger wird man heute nicht durch Leistung allein, sondern durch die Inszenierung von Leistung. Das geht so weit, dass hinter der Inszenierung keine eigentliche Leistung mehr steht. Durchaus selbstverständlich ist es überdies, innerhalb der Netzwerke nicht nur an der eigenen Inszenierung zu arbeiten, sondern auch zur Inszenierung der anderen Networker beizutragen. Laudatio, Schirmherrschaft, günstiger Kredit, (Ehren-)Doktorwürde, Honorarprofessur – Möglichkeiten gibt es viele. Eine Hand wäscht die andere und alle fühlen sich sauber.

Wie konnte es überhaupt zu einer derartigen Pervertierung des Wertes „Leistung“ kommen, eines zentralen Aspekts der protestantischen Ethik, die bis heute als Grundlage des unternehmerischen Erfolgs gilt? Wir haben die Leistung abgekoppelt von anderen wichtigen Werten: Maß, Klugheit, Verantwortung. Wir haben operative Hektik durch permanente Inszenierung unter hohem Termindruck gepflegt, bis uns das Gefühl für das „Gute“ und „Richtige“ abhanden gekommen ist. Wir nehmen uns keine Zeit mehr für eine bewusste Reflexion und keine Zeit für einen tiefgehenden Diskurs über ethische Positionen, sondern lesen einfach die Zeitungen quer, die gebetsmühlenartig die immer gleichen Vorwürfe ausbreiten. So kommen wir nicht weiter.

Ethik braucht einen Diskurs

Die Gesellschaft muss sich der Therapie einer offenen und ehrlichen Diskussion um Werte stellen, sonst wird es keine Genesung geben. Die sinnentleerte Floskel „Leistung muss sich lohnen“ muss wieder Sinn erhalten. Leistung, Freiheit, Verantwortung und Gerechtigkeit müssen wieder in Einklang kommen. Weder dürfen wir eine Leistungsinszenierung ohne Leistung dulden – hier haben wir es mit Hochmut zu tun! –, noch eine Leistungsfeindlichkeit ohne Leistung – was nichts anderes ist als Faulheit.

Beide Charakterschwächen finden sich im Katalog der so genannten sieben Todsünden, neben Habgier, Genusssucht, Rachsucht, Selbstsucht und Eifersucht. Ein Katalog, der sich übrigens liest wie das Inhaltsverzeichnis eines beliebigen populären Medienprodukts. „Laster“ sind uns heute sehr vertraut – Werte offenbar weniger. Wir brauchen Wertekrisen, weil wir in diesen Krisen unser eigenes Wertekorsett neu schneidern oder neu verschnüren können. In der Krise liegt immer die Chance für einen Neuanfang. Gelingt es, Werte wirklich balanciert zu leben, profitieren Unternehmen in jeder Hinsicht.

Es gilt: Ohne Profit ist keine Ethik möglich, und ohne Ethik kein Profit. Wer hier eine klare Linie fahren will, muss als Unternehmer, aber auch als Führungskraft innerhalb eines Konzerns, vor allem Mut haben. Die Courage, eigene Wege zu gehen. Die Courage, Nein zu sagen, auch wenn alle anderen anders denken und handeln. Die Courage, sich gegen Gepflogenheiten und so genannte Gentlemen-Agreements zu stellen, im Zweifelsfall auch gegen Anweisungen. Kurt Tucholsky hat dies einmal sehr schön auf den Punkt gebracht: „Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ Es ist an der Zeit konstruktiv „Nein!“ zu sagen. Es ist an der Zeit sich mit Gegenentwürfen zu beschäftigen, und zwar differenziert, klar und ehrlich. Durch ein solches Verhalten riskiert man oberflächlich blaue Flecken, auf Dauer aber erhält man sich ein gesundes Rückgrat.

(Bild: © DavidArts – Fotolia.de)

Dr. Dr. Cay von Fournier

Dr. Dr. Cay von Fournier ist aus Überzeugung Arzt und Unternehmer. Zu seiner Vision gehören möglichst viele gesunde Menschen in gesunden Unternehmen. Der in Medizin- und Wirtschaftswissenschaften promovierte Seminarleiter ist bekannt durch seine lebhaften und praxisrelevanten Trainings und Vorträge. SchmidtColleg ist unter seiner Leitung zu einer Unternehmensgruppe geworden, die sich der Vermittlung einer strategischen sowie ethischen und deshalb sehr erfolgreichen Unternehmensführung widmet.

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