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Andreas Fehr ist der Organisator der Global Sustainability Jam in Nürnberg. Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt, rund um das Thema Nachhaltigkeit. Einige aus dem unternehmer.de-Team waren selbst schon als Teilnehmer bei einer Jam dabei und finden: Tolle Idee! Tolles Konzept! Macht mit!

Andi, was genau ist eigentlich eine Jam?

Andreas Fehr: Der Begriff Jam kommt aus der Musik und beschreibt ein Treffen von Menschen, die ihre Musik und ihre Fähigkeiten untereinander in einem offenen Rahmen teilen. Auf der Global Sustainability Jam treffen sich auf der ganzen Welt Menschen, um ihr Wissen zum Thema Nachhaltigkeit miteinander zu teilen und neue Dienstleistungen, Projekte oder Produkte zu entwickeln. Zum Start bekommen die Teilnehmer ein Schlagwort zu dem sie einen funktionierenden Prototypen Ihrer Idee erschaffen sollen. Dafür haben sie genau 48h Zeit. Am Ende präsentieren die Gruppen ihre Ergebnisse durch Kurzfilme, Kurzbeschreibungen o.ä. im Internet, eben global! Die Global Sustainability Jam ist die „Schwester“ der weltweit ersten Global Service Jam, die im März 2011 in über 20 Ländern und in mehr als 50 Städten sehr erfolgreich statt fand. Bei der Global Service Jam (GSJ) ist der Fokus auf dem Thema Servicedesign. Hier werden unter Anwendung unterschiedlicher (kreativer) Techniken Dienstleistungen kundenzentriert entwickelt. Im Unterschied dazu kann bei der Global Sustainability Jam eben nicht nur eine Dienstleistung erfunden werden, sondern auch ein Produkt oder eine Initiative.

Da steckt sicher einiges an Aufwand dahinter. Wie funktioniert die Organisation und die Finanzierung einer Jam?

Andreas Fehr: Die Vorbereitung für eine Jam startet circa 3 Monate im Voraus. Es wird eine Website aufgesetzt, via Facebook und Xing Teilnehmer aktiviert, Arbeitsmaterial (Profilkarten, diverse Tools und Equipment etc.) erstellt und organisiert. Es werden Firmen zwecks Sponsoring angesprochen, der Ablaufplan für das Jam-Wochenende entwickelt, die Presse benachrichtigt und Kurzfilme zu Werbe- und Erklärungszwecken erstellt. Während dessen tausche ich mich mit anderen Veranstaltern über eine Webplattform aus, um die Jam immer weiter zu entwickeln und sich gegenseitig zu unterstützen. Bei der Global Sustainability Jam im Oktober 2011 hatte ich eine gute Freundin aus dem Verein Bluepingu, für den ich ehrenamtlich aktiv bin, als Unterstützung an meiner Seite. Sie hat die Designarbeiten, wie z.B. die Logo Entwicklung übernommen und mir bei der Durchführung der Jam geholfen. Da sich die Teilnehmer ganze 2 Tage ihrer kostbaren freien Zeit dafür nehmen, versuche ich die Kosten durch Sponsoring abzudecken. Wir haben damals nur 5 Euro an Unkostenbeitrag verlangt, da wir nicht zuletzt durch den Verein Bluepingu ausreichend Sponsoren gewinnen konnten, die Catering, Raummiete, Arbeitsmaterialien und Jam-Shirts übernommen haben.

Und was macht man auf der GSusJam, was ist das Kernziel?

Andreas Fehr, der Organisator der Global Sustainability Jam in Nürnberg

Andreas Fehr: Obwohl bei dieser Form der Jam nicht Servicedesign im Vordergrund steht, bedienen wir uns aus dem reichhaltigen Tool-Baukasten. Da hier nicht nur Servicedesign Experten am Werk sind, versuchen wir einfach zu erlernende Techniken anzuwenden. So empfehlen wir nach der Ideen-Entwicklung „Personas“ zu erschaffen. Das sind „echte“ Personen, die später einmal die Dienstleistung oder das Produkt benutzen sollen. Hier überlegt man sich dann beispielsweise 5 unterschiedliche Charaktere, die über Alter, Geschlecht, Lebenssituation, Gewohnheiten und Interessen beschrieben werden. Man spielt anhand dieser Eigenschaften dann Marketingmaßnahmen, Nutzung und Erlebnisse durch. Wir ermutigen auch die Teilnehmer erste Ideen zu erlebbaren Prototypen zu entwickeln, um diese wieder zu hinterfragen, zu „zerstören“ und von Vorne anzufangen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse helfen ungemein bei der Weiterentwicklung der Idee.

Diese Tools lassen sich auch auf die Produktentwicklung oder Initiativen-Gründung anwenden. Bei der Jam entstehende Prototypen werden unter Creative Common License veröffentlicht. Sind also für jeden der daran interessiert ist unter Berücksichtigung der Lizenzbestimmungen weiter verwendbar. Die entwickelten Ideen sollen helfen, die Welt ein bisschen besser zu machen, indem sie z.B. eine Initiative gründen oder eine Dienstleistung anbieten, passend zum Schlagwort und dem Thema Nachhaltigkeit. Am wichtigsten ist uns aber, dass die Teilnehmer Spaß haben und neue Methoden sowie Wissen für sich in den Alltag übertragen können. Wenn einer danach glücklich nach Hause geht und das Gefühl hat, etwas bewegen zu können und aktiv wird, haben wir mehr erreicht, als wir uns vorgestellt haben!

Und schaffen es auch Konzepte vom Spiel in die Wirklichkeit?

Andreas Fehr: Es gibt einige Gruppen die weiter an Ihren Prototypen arbeiten, aber bisher wurde noch keines in die Realität übertragen und ein StartUp gegründet. Was sicher auch daran liegt, dass sich die meisten Teilnehmer vorher noch nicht kannten und in Ihrem Job eingebunden sind. In die Wirklichkeit mitgenommen werden die persönlichen Erfahrungen, der erweiterte Horizont, Wissen und der Austausch mit unterschiedlichen Menschen. Zusammen mit den Jam-Erfindern Markus Hormess und Adam Lawrence arbeiten wir lokalen Organisatoren daran, bessere Hilfestellung zur Realisierung geben zu können. Ich würde mich freuen, eine Art Jam-Stipendium ins Leben rufen zu können, das die Umsetzung eines entstandenen Prototypens durch die Ideengeber fördert.

Was war die lustigste Idee von allen?

Andreas Fehr: Oh, das ist eine sehr schwierige Frage! Sicherlich waren bei der Noris Weltretter Jam (so hieß unsere lokale Jam im Oktober 2011) die Projekte „Sweep Burney“ und „Lucky Loop“ die Highlights. Das erste Projekt sollte eine Webplattform werden, bei der oft nervige und ungeliebte Arbeiten durch spaßige Interaktion aufgelockert werden. Ziel war es dem großen Thema Burn-Out durch mehr Lockerheit im Alltag entgegen zu wirken. Bei dem Konzept „Lucky Loop“ sollten Fahrradfahrer durch das Abspielen von Musik, während sie durch einen Kreisel fahren, belohnt werden, dass sie nicht mit dem Auto fahren. Am besten man verschafft sich selbst einen Überblick: http://planet.globalsustainabilityjam.org

Und wie sehen die Teilnehmer aus? Gibt es eine bestimmte Gruppe von Menschen, die sich für Nachhaltigkeit interessiert?

Andreas Fehr: Die Teilnehmer waren eine bunte Mischung und kamen aus den unterschiedlichsten Richtungen. Von Studenten mit technischen oder sozialen Studiengängen, über Selbstständige aus den Bereichen Marketing, Softwareentwicklung oder Design bis hin zu Managern die bei Siemens arbeiten, war alles dabei. Viele wollten durch die spielerische Art der Jam einen ersten Schritt zu einem nachhaltigen Leben wagen. Manche Teilnehmer hatten schon angefangen ihr Leben Schritt für Schritt nachhaltiger zu gestalten und nutzten die Jam um Ihr Wissen weiter zu vertiefen. Darin liegt auch der große Reiz und Mehrwert der Jam. Sie ist offen für alle, egal welchen Alters, Bildungsgrad, Fachwissen oder Beschäftigungsverhältnisses. Einzige Bedingungen sind Offenheit und Respekt gegenüber der Meinung / Idee anderer, sowie deren Persönlichkeit! So ergibt sich immer eine spannende Mischung an querdenkenden Menschen, die sonst kaum zu finden ist.

Das Thema Nachhaltigkeit scheint schwer im Kommen zu sein. Woran denkst du liegt das? Und was kann man selbst einfach dazu beitragen, um den Trend Nachhaltigkeit zu unterstützen?

Andreas Fehr: Nachhaltigkeit ist für mich die einzige Antwort auf unsere globalisierte und immer schneller wachsende sowie sich verändernde Welt. Denn sie berücksichtigt zum ersten Mal alle für uns wichtigen Dimensionen: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Es geht hierbei nicht vorrangig um Verzicht, sondern vielmehr um das „Sich-bewusst-werden“, welche Auswirkungen unser Handeln hat. Man richtet den Blick viel weiter nach vorne, hört auf kurzfristig und maximiert zu denken. Eigentlich haben alle Weltreligionen die in der Nachhaltigkeit wichtigen Werte schon seit Jahrhunderten in Ihren Glaubensbekenntnissen enthalten. Nur gerieten diese durch Industrialisierung und Wirtschaftswunder in Vergessenheit. Durch das Versagen der vorhandenen Systeme (Finanzkrise, soziale Ungerechtigkeit, Rohstoffknappheit etc.) und der kommende Kampf um Trinkwasser zwingen uns, grundlegende Veränderungen anzugehen. Das Konzept der Nachhaltigkeit gibt eine Richtung vor, die in meinen Augen eine sehr plausible Lösung bietet. Leider ist das Konzept der Nachhaltigkeit in seiner Mehrdimensionalität schwer zu fassen und begreifbar zu machen. Es gibt keine übergreifende, vorgefertigte Lösung von der Stange. Die UNO, EU, unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen und auch viele Querdenker haben in den unterschiedlichen Bereichen schon sehr gute Normen, Leitlinien und Strategien entwickelt.

So bin ich persönlich ein großer Fan des Cradle-to-Cradle-Design-Konzeptes, das der deutsche Chemiker Prof. Dr. Michael Braungart mit entwickelt hat. Hier nimmt man sich bei der Produktion von Gütern jeglicher Art den geschlossenen Naturkreislauf als Vorbild. Es entsteht kein Abfall mehr, sondern alles kann wieder verwendet werden oder wird zu Nährstoff für die Natur. Unternehmen haben zudem erkannt, dass sie mit Investitionen in Energieund Ressourceneffizienz ihre Wertschöpfungsketten steigern und gleichzeitig ein höheres Vertrauen bei den zunehmend kritischeren Verbrauchen gewinnen können. Nachhaltig zu handeln und trotzdem wirtschaftlich erfolgreich sein ist kein Widerspruch, sondern eine Win-Win Situation für alle Beteiligten. Ich hoffe die immer stärkere Beachtung des Themas Nachhaltigkeit führt uns zu einer grundlegenden Veränderung in unserem Wirtschafts- und Sozialsystem. Man kann in seinem Alltag viele kleine Schritte unternehmen. Vom bekannten Energiesparen, bewussten Einkaufen bis hin zu Urban Gardening. Ich selbst gebe als Dozent der Zentrifuge Akademie in Nürnberg am 18./19. Juni sowie 20./21. September 2012 einen Workshop für Unternehmen, in dem ich gemeinsam mit den Teilnehmern erste Schritte für sie erarbeite, wie sie Nachhaltigkeit im Unternehmen leben und somit langfristig erfolgreich agieren können. Mehr Informationen dazu findet man unter www.zentrifuge-akademie.de, Rubrik Akademie

Nachhaltigkeit im Job: Was bedeutet das für dich?

Andreas Fehr: Ich habe mich in meinem Studium der Angewandten Freizeitwissenschaft intensiv mit nachhaltigem Tourismus und regionalen Entwicklungsmöglichkeiten auseinandergesetzt und mich entschieden als selbstständiger Berater in dem Bereich Freizeit und Tourismus diesen Veränderungsprozess mit zu gestalten und zu optimieren. Des Weiteren fahre ich zu meinen Geschäftsterminen entweder mit dem Rad oder der Bahn. Ich achte darauf, das mein Website-Hoster mit Ökostrom arbeitet und verwende ökologische Druckprodukte. Die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards ist Grundlage bei der Auswahl meiner Kooperationspartner. Mit meinen Kunden pflege ich ein offenes und faires Verhältnis, das von gegenseitigen Vertrauen und Respekt geprägt ist.

Und jetzt vielleicht noch ein paar Infos für unsere Leser: Wann und wo findet die nächste Global Sustainability Jam statt?

Andreas Fehr: Die nächste Global Sustainability Jam findet im Oktober 2012 statt. Das genaue Datum ist leider noch nicht bekannt. Sicher ist, dass ich in Nürnberg wieder eine Jam organisieren werde. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch in München, Berlin und Köln eine lokale Jam veranstaltet wird. Nachdem die Jam-Gemeinde immer mehr Menschen begeistert, hoffe ich sehr, dass auch in Deutschland noch einige Orte dazu kommen werden. Wer Interesse hat, in Nürnberg dabei zu sein, uns als Sponsor zu unterstützen oder selbst eine Jam veranstalten möchte, dem stehe ich gerne zur Verfügung!

Danke Andi für das nette Gespräch!

(Bild: © Global Sustainability Jam)

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