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Lernkurven

Viele Unternehmen, die erst im Laufe der letzten Jahre das Thema entdeckt und ihre Performance daraufhin getunt haben, setzen Nachhaltigkeitsthemen als Instrument fürs Reputationsmanagement ein. Sie betreiben damit Imagepflege. Verzwergen das Thema zu einem Marketing-Tool. Und bringen diejenigen, die es überhaupt erst auf die Agenda gesetzt haben, damit auf die Palme.

Die Crux der Nachhaltigkeitsdebatte liegt nicht in Pro’s oder Con’s zur Sache, sondern in der mitunter verheerenden Wirkung, die sie für das Image unternehmerischer Akteure insgesamt hat. All die auf Verwertungsvorsprünge abzielenden Versuche, nachhaltige – oder auf Nachhaltigkeit hinkommunizierte – Produkte rhetorisch immer weiter aufzurüsten, berühren ja nicht nur das Teil-Image eines Anbieters, also zum Beispiel das Hersteller-Image. Sie beeinflussen genauso das, was in der Gesellschaft über Unternehmen generell gesagt und gedacht wird. Also das, was das Unternehmensimage insgesamt ausmacht: Wofür Unternehmen da sind, wofür sie stehen, was sie leisten, ob und wann sie unserer Gesellschaft gut tun, und so weiter.

Ganz unabhängig von der Nachhaltigkeitsdebatte brachten die letzten Krisenjahre den Unternehmen in dieser Hinsicht nicht sonderlich viele Pluspunkte. Das Vertrauen in Unternehmen und ihr Führungspersonal ist aufgezehrt. Und nun: Nachhaltigkeit und CSR – ursprünglich ein Wertebedürfnis aus der Mitte der Gesellschaft – als instrumenteller Dauer-Ausgleich fürs Versagen bei den unternehmerischen Basics? Und das: ein Mega-Trend …?

Nein danke, sagen da viele. Und zwar entgegen ihrer eigenen Werteorientierung und Überzeugung! Das ist die Crux der Nachhaltigkeitsdebatte: Aus Frust über die Scheinheiligkeit und Schamlosigkeit vieler unternehmerischer Nachhaltigkeitsstrategien haken sie das Thema ab. Obwohl fast alle mehr Verantwortung im Umgang mit wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Belangen wollen! Bloß: Das, was im Augenblick daraus gemacht wird, ist für viele nichts anderes als die Bestätigung und Fortsetzung desjenigen Geschäftsmodells von Vogel Strauß, das uns wirtschaftlich in den Schlamassel reingebracht hat, in dem wir bis zur Halskrause immer noch drinstecken.

Wertedebatten sollen Haltungen verändern, keine Geschäftsmodelle

Man darf getrost bezweifeln, dass es einen gesellschaftlichen Wunsch nach mehr sozialem Engagement von Unternehmen gibt. Die Menschen erwarten von Unternehmen keineswegs lauter gute Taten. Wenn Unternehmen den Regenwald retten wollen, ist das schön – hat aber mit ihrem Auftrag erst mal nichts zu tun. Unternehmen haben die Gesellschaft vielmehr mit nützlichen, wertigen, bezahlbaren und innovativen Gütern und Dienstleistungen zu versorgen. Dafür sollen und müssen sie Gewinne machen.

Die dafür einzusetzen sind, ihre ureigenen Aufgaben immer besser zu erfüllen. Das heißt: Nie gesundheitsgefährdend, immer preisgünstiger, möglichst ohne Zugangsbarrieren für einzelne Gruppen, umweltschonend und und und. Also: Ihr Kerngeschäft zum Wohle aller auszubauen und zu verbessern. Und im Idealfall? Wer mit Nachhaltigkeit und CSR als zentralem Produktversprechen Gewinn macht und seinem eigenen Werteanspruch gemäß wirtschaftet, soll das tun! Und auch hier spiegelt sich der Grundimpuls der Nachhaltigkeitsdebatte deutlich wider: Marken, die das („schon immer“) praktizieren, sind am Markt äußerst erfolgreich. Die nun über Jahre anhaltende Konjunktur von prosozialen Werten fordert gerade kein neues Geschäftsmodell à la Gutmenschen-Unternehmertum ein, sondern etwas ganz anderes: Einen Bedeutungswandel und Bewusstwerdungsprozess darüber, wofür Unternehmen eigentlich stehen, und was sie nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich zu leisten haben.

Nach all den Krisen der letzten Jahre sollte das eigentlich angekommen sein: Konsumenten wollen keine Unternehmen als Heilsbringer. Sondern sie erwarten, dass Unternehmen den Bedürfnissen und Zielen der sie tragenden Gesellschaft gerecht werden. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Die Mehrheit der Deutschen fordert neue Haltungen – und keine oberschlauen Verwertungsstrategien, die, quasi auf dem Rücken ihrer Forderung und mit Marketinghilfe professionell inszeniert, ganz egoistisch den jeweils eigenen Umsatz steigern.

Eine den gesellschaftlichen Wünschen folgende unternehmerische Nachhaltigkeitsstrategie nähme das, was Unternehmertum ausmacht, nämlich: Etwas zu unternehmen, Neues in Gang zu setzen, Entrepreneurship mit Blick auf eine steigende Empfindsamkeit gegenüber unserer gesellschaftlich-ökologischen Stabilität, zum Kern ihres Antriebs. Sie nähme ihn ernst. Sie übertrüge ökologische Sensibilität auf den unternehmerischen Grundauftrag.

Und nun?

Da sind wir noch lange nicht. Viele Projekte, die heute unter Nachhaltigkeits- oder CSR-Flagge segeln, sind zwar moralisch-politisch korrekt. Unserem wirtschaftlichen Selbstverständnis – und dem unternehmerischen Auftrag – folgen sie aber nicht (mehr). Den Weg dorthin zurückzufinden sollte die zentrale Triebfeder sein für eine zeitgemäße unternehmerische Nachhaltigkeitsagenda. Marketing wäre hierfür ein Partner, aber niemals die dominierende Instanz. Dann klappt’s auch wieder mit dem Konsumentenvertrauen. Und dem Umsatz.

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Prof. Dr. Friederike Müller-Friemauth

Prof. Dr. Friederike Müller-Friemauth ist Trend- und Zukunftsforscherin. Sie macht mittelständische Wettbewerbs- und Positionierungsstrategien anschlussfähig an den gesellschaftlichen Wandel und begleitet Betriebe bei ihrer Unternehmensentwicklung. Sie hat einen Lehrstuhl für strategisches Marketing und Innovation an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management in Köln inne, hält Key Notes zu zukunftsforscherischen Themen und ist Autorin mehrerer Bücher. www.denkenaufvorrat.de.

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