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Stolperdraht „geringe Verhaltensflexibilität“

Umgekehrt kommt jemand selten beruflich weit, der die Status-Spiele nicht beherrscht, die das Miteinander nicht nur im Wirtschaftsleben prägen. Ein Paradebeispiel hierfür ist Hilde May*. Sie verfügt über einen Lebenslauf, der sie eigentlich für Top-Positionen prädestiniert. Ihren BWL-Abschluss machte sie an einer renommierten Business-School. Außerdem erwarb sie einen MBA-Abschluss in den USA. Zudem ist sie eloquent und spricht neben Englisch auch Spanisch fließend. Trotzdem stagniert ihre Karriere seit Jahren. Denn weil sie die Status-Spiele nicht beherrscht, lebt sie im Dauerkonflikt mit ihren Vorgesetzten und Kollegen. Sie spürt zwar, dass sie nach außen konsequenter auftreten sollte, schafft es aber innerlich nicht, die dazu notwendige Entschiedenheit und Distanz auf zu bauen. Dadurch wirkt sie verbissen. Bei ihren Kollegen gilt sie als arrogant und schnippisch. Und bei ihren Chefs als kapriziös, wenig loyal und teamfähig. Und dies nur, weil sie nicht über die erforderliche Status-Intelligenz verfügt, um ihre Ansichten sozial angemessen zu vertreten. Immer wieder suggeriert sie durch ihr Verhalten – unbewusst – ihren Vorgesetzten und Kollegen: Eigentlich nehme ich Sie nicht ernst; faktisch haben Sie wenig Ahnung.

Weil Hilde May beruflich nicht vorwärts kam, wechselte sie schon mehrfach den Arbeitgeber – erfolglos. Immer wiederholte sich dasselbe Spiel. Bereits nach kurzer Zeit hatte sie erneut den Ruf weg: arrogant und schwer integrierbar. Und dies nur, weil sie im Umgang mit Kollegen, Kunden und Vorgesetzten nicht die erforderliche Verhaltensflexibilität zeigte, wodurch es immer wieder zu Reibereien kam und sie sich im Beziehungssystem Unternehmen isolierte.

Kernfrage: Welches Verhalten erfordert die Situation?

Dass wir unser Verhalten dem Gegenüber anpassen müssen, beruflich und privat, das ist eigentlich jedem Menschen (unbewusst) klar. Deshalb verhalten wir uns im Kontakt mit Freunden zumeist anders als im Kontakt mit Fremden. Mit Kindern reden wir anders als mit Erwachsenen, und mit fachlichen Laien kommunizieren wir anders als mit Experten. Doch nicht nur an unser Gegenüber passen wir unser Verhalten an, sondern auch an die Situation. So treten wir einem Polizisten, den wir nur nach dem Weg fragen, recht selbstbewusst gegenüber. Ertappt uns derselbe Polizist aber bei einer Ordnungswidrigkeit und droht uns eine saftige Strafe, dann sind wir plötzlich meist ganz klein und devot.

Ähnlich ist es im Kontakt von Eltern mit ihren Kindern. Haben letztere Probleme, dann beugen wir uns als Vater oder Mutter zu ihnen herab und lauschen ihnen verständnisvoll. Wir begeben uns mit ihnen scheinbar auf eine Ebene. Anders ist es hingegen, wenn sie, obwohl wir es ihnen schon zigmal sagten, immer noch nicht ihr Zimmer aufgeräumt haben. Dann packt uns die Wut und wir drohen ihnen mit unserer gesamten (verbliebenen) elterlichen Autorität: „Wenn Du jetzt nicht aufräumst, dann ….“.

Das Statusspiel mitspielen

In unserem Alltagsleben können wir auch gut beobachten, wie sich der Status, den Personen einnehmen, im Verlauf von Gesprächen oft stark ändert. Erneut ein Beispiel. Angenommen ein Kind kommt von der Schule nach Hause und gesteht seiner Mutter kleinlaut, dass es in Mathe eine Fünf geschrieben hat. Dann kann der sich daran anschließende Gesprächsverlauf wie folgt aussehen: Die Mutter sagt zunächst zu ihrer Tochter oder ihrem Sohn: „Das überrascht mich nicht. So wenig, wie Du gelernt hast, musste …“ Das heißt, sie nimmt zunächst – wie dies in der Schauspielersprache heißt – den „Hoch-Status“ ein und liest ihrem Kind die Leviten.

Nach einiger Zeit ändert sich jedoch neben ihrem Ton auch ihre Sprache sowie ihre Mimik, Gestik und Körperhaltung, und sie sagt zu ihrem Nachwuchs beispielsweise: „Ich finde es ärgerlich, dass Du …“ „Liegt es eventuell daran, dass …?“ „ Wie kann ich Dir helfen,…?“ Das heißt, sie begibt sich mit dem Kind scheinbar auf eine Ebene. Oder anders formuliert: Sie wechselt äußerlich in einen tieferen Status (ist also „innen hoch“, spielt aber „außen tief“), um die Ursachen zu erforschen und mit dem Kind eine Lösung zu erarbeiten. Und gegen Ende des Gesprächs wechselt die Mutter erneut in einen höheren Status, indem sie zum Beispiel sagt: „Karla (oder Karl), dass Du mal eine Fünf geschrieben hast, ist kein Beinbruch. Doch ich erwarte von Dir, dass Du künftig …“

Auf der nächsten Seiten erfahren Sie mehr darüber, wie und warum man den Status gezielt wechseln sollte.

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Tom Schmitt

Tom Schmitt arbeitet als Managementberater und Trainer für die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Der Diplom-Pädagoge sowie ausgebildete Schauspieler schrieb mit Michael Esser das Buch „Status-Spiele: Wie ich in jeder Situation die Oberhand behalte“. (Email: tom.schmitt@krauspartner.de; Tel.: 07251/989034).

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