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Der Coachingmarkt wird stark überschätzt. Davon ist Bernhard Kuntz, Marketingberater für Trainer, Berater sowie Coaches, überzeugt.

Lieber Herr Kuntz, davon bin ich auch überzeugt. Allerdings aus anderen Gründen als Sie.

Im Einzelnen:

1. Coaching ist keine Profession.

„Eine Coachingausbildung ist in der Regel nur eine Zusatzausbildung, die das berufliche Profil zum Beispiel eines Trainers oder Beraters abrundet.“

Wenn man Coach aus Leidenschaft ist, dann ist Coaching sehr wohl eine Profession, nämlich in der ursprünglichen Bedeutung des Lateinischen Wortes: Berufung, Leidenschaft. Das allein freilich sagt nichts über die Qualität und Qualifikation des Coaches aus. Glücklich, wenn er nicht nur, sondern wenigstens eine Zusatzausbildung hat und nicht einfach ganz ohne dahin werkelt – was übrigens auch nicht automatisch mit schlechter Qualität der Arbeit gleich gesetzt werden muss.

2. Der Begriff Coaching hat sich zu einer Leerformel entwickelt.

„Unter diesem „Label“ werden aus Marketinggründen von den unterschiedlichsten Anbietern die unterschiedlichsten Leistungen angeboten.“

Ja, das ist richtig, oft verwirrend und unübersichtlich. Das ist wie bei vielen anderen Leistungen und Produkten auch. Käse: Kuh, Ziege, Schaf, hart, streichfähig, mild, scharf, Schimmel oder gar analog? Neulich hatte ich einen, da war Mehl drinnen, eklig, oder gar Gelatine, wo ich doch gerne auf Produkte vom toten Tier verzichte. Ich gebe zu, der Vergleich hinkt, es steht meistens auf der Packung, was an Zutaten drin ist, auf dem Coach ist kein Etikett. Aber auch beim Käse muss ich mich bemühen, die Zutatenliste zu studieren und zu verstehen. Oder wissen Sie auf Anhieb, was E E335 ist? Selbst die Erklärung “Natriumtartrate“ hilft nicht weiter. Umso mehr werde ich den Coach nach seinen Ingredienzien befragen müssen.

3. Der Coachingmarkt ist kleiner als die Medien und die Anbieter von Coachingausbildungen suggerieren.

„Er ist zumindest nicht groß genug, um alle Selbstständigen zu ernähren, deren Visitenkarte die Berufsbezeichnung „Coach“ ziert.“

Das mag auf die aktuelle Situation zutreffen. Klein denken heißt aber auch, klein bleiben. Klein hat man übrigens vom PC-Markt auch gedacht. „Als IBM vor 25 Jahren den ersten PC auf den Markt brachte, erklärten selbst Experten eine solche Idee als lächerlich. Für so etwas sei die Nachfrage in der Bevölkerung ohnehin viel zu gering, ergaben auch von großen Industrieunternehmen in Auftrag gegebene Studien“ kann man im Internet nachlesen. Die grundsätzliche Bedeutung von Produkten, Dienstleistungen und Märkten lässt sich nicht daran ablesen, wie viele Menschen sie aktuell ernähren, sondern wohin sie sich entwickeln oder entwickelt werden. Da sehe ich für Coaching bessere Chancen und mehr Bedarf als für immer mehr derselben Trainings oder immer exotischere Trainingsangebote.

4. Die meisten sogenannten Coachings, die von Unternehmen bezahlt werden, sind faktisch (individuelle) Trainings-on-the-job.

„Sie dienen primär dazu, die Coachees dazu zu qualifizieren, aus Firmensicht ihre Jobs (noch) besser wahrzunehmen.“

Wenn es denn so ist, ist das beileibe nichts Böses. Mein Coaching-Verständnis ist in der Tat auch ein anderes, als systemischer Coach bin ich Katalysator, Lotse und Spiegel, der – ganz neutral – den Coachee idealer Weise zu seiner eigenen Lösung führt. Dabei komme ich um gelegentliche Ratschläge (pfui!) und Trainingselemente nicht nur nicht herum, manchmal wäre es schlicht ein Fehler, dem Coachee dies vorzuenthalten. Die Grenzen können fließend sein, wichtig ist eine klare Zielvereinbarung, das Offenlegen, transparent machen und Abstimmen der Arbeitsweise. Und das Erreichen des Ziels. Das Label ist nachrangig.

5. Viele Newcomer im Markt machen sich recht blauäugig als Coach selbstständig – zum Beispiel weil ihnen eine berufliche Alternative fehlt.

„Bei einer nüchternen Analyse ihrer Marktchancen müsste man ihnen vielfach von einer Existenzgründung als Coach abraten – sei es aufgrund mangelnder fachlicher Kompetenz oder aufgrund des fehlenden „Bisses“, sich als Unternehmer in dem hart umkämpften Coachingmarkt zu behaupten“

Richtig. Es ist falsch, sich blauäugig ohne fundierte fachliche Qualifikation und ohne genaue Analyse und Kenntnis des Marktes selbständig zu machen. Das führt z.B. bei Friseursalons zu Stundenlöhnen der dort Beschäftigten von unter 6 € oder beim x-ten (vom Einzelunternehmer geführten) Billig-Modeladen zum Konkurs nach spätestens 6 Monaten.

6. Ein guter Coach braucht auch Fach-Know-how und/oder Feld-/Branchenerfahrung.

„Die aktuelle Diskussion in der Coachingszene unter anderem über das Thema Komplementär-Beratung ist das stillschweigende Eingeständnis, dass dieses Know-how und diese Erfahrung manchem Coach fehlt.“

Die kann ihm nützen, aber auch schaden. Mangelnde Feldkompetenz kann die beste Voraussetzung für einen unverstellten Blick und kreative Lösungsfindung sein. Wunderbar, wenn ich die Auswahl habe und mich zwischen einem Coach mit mehr und einem mit weniger Feld-/Branchenerfahrung entscheiden kann.

7. Jede qualifizierte persönliche Beratung beinhaltet auch Coachingelemente.

„Deshalb ist und bleibt es für Kunden vielfach schleierhaft, was einen Coach von einem guten Berater unterscheidet.“

Dem Ritual, mit einem Schleier etwas zu verhüllen steht die Entschleierungszeremonie gegenüber. Wenn ein guter Coach bei seinem Klienten den Schleier über den Vorgängen vermutet, sollte er darüber sprechen und auf-klären, sonst ist er kein guter. Tut er´s nicht von sich aus, darf auch der Klient mal nachfragen. Wenn der das nicht schafft, braucht er möglicherweise keinen Coach sondern einen Therapeuten.

8. Je höher eine Person in der Hierarchie eines Unternehmens angesiedelt ist, um so weniger achtet sie bei der Auswahl eines „Coachs“ darauf, ob dieser eine Coachingausbildung absolviert hat.

„Die entscheidenden Auswahlkriterien sind die berufliche Biografie des Beraters und dessen Persönlichkeit.“

Glücklicher Weise ist das oft so. Eine mittelmäßige Coachingausbildung lustlos abgesessen und mittelmäßig abgeschlossen ist ja nun auch nicht unbedingt ein Qualifikationsnachweis. Außerdem lässt sich die Qualität von Zertifikaten nur schwer überprüfen, geschweige denn erschließt sich bei Abschlusszertifikaten oder Titeln auf Anhieb, ob sie redlich erworben wurden, wie wir gerade jüngst alle erleben durften. Was für viele zählt, ist die Persönlichkeit. Da bestätigt sich möglicherweise wieder die nicht ganz ernst gemeinte Volksweisheit: Die einzige Unternehmensebene, auf der Entscheidungen bar jeglicher Sachkenntnis gefällt werden, ist die oberste.

9. Das Coachinggeschäft ist primär ein regionales, bei Privatzahlern oft sogar ein lokales Geschäft.

„Denn nur sehr wenige Coachees sind bereit, beispielweise für ein zweistündiges Coaching weite Wegstrecken zu fahren (oder dem Coach die Reise sowie Reisezeit zu bezahlen). Deshalb sollte sich das Marketing eines Coaches auf die Region fokussieren.“

Globalisierung schließt Pflege regionaler Eigenheiten ja bekanntlich nicht aus – im Gegenteil, das eine wird im Zusammenspiel mit dem andern noch attraktiver. Mit dem Coaching ist es ähnlich. Wenn ich einen ganz bestimmten Coach möchte, muss ich u.U. eine größeren finanziellen (und zeitlichen) Aufwand bereiben als wenn ich keine Präferenzen habe. Meine Klienten kommen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, etwa die Hälfte aus Süddeutschland, die andere Hälfte lebt in und zwischen Berlin, Wien und Zürich. Da ist natürlich oft Kreativität gefragt, wenn man die Terminkalender koordiniert. Ein gelegentliches Telefoncoaching ist eine gute Alternative, wenn man räumlich mal gar nicht zueinander findet.

10. Das Coachinggeschäft mit Privatzahlern ist ein sehr steiniges Geschäft.

„Nur wenige Privatpersonen können oder sind bereit, die Honorare zu bezahlen, die Coaches fordern müssen, wenn sie mit Coaching allein ihren Lebensunterhalt verdienen und eventuell sogar eine Familie ernähren möchten.“

Ja, das sollte sich jede/r bewusst machen, der neu in dieses Geschäft einsteigen möchte. Neben dem finanziellen Risiko für den Coach besteht auch das Risiko, dass dieser gerade aus den beschriebenen wirtschaftlichen Zwängen heraus Aufträge annimmt, die er oder sie besser abgelehnt hätten, weil er in diesem Bereich nicht kompetent oder das Anliegen bzw. der Klient nicht coachingfähig ist.

11. Coaching ist ein „People-Business“, das weitgehend vom Ruf eines Coaches und dessen persönlichen Kontakten lebt.

„Entsprechend wichtig ist es für die Vermarktung eines Coaches, dass er ein aktives Networking betreibt und in den Szenen, die seine Zielgruppen sind, Präsenz zeigt.“

Das ist eine richtige Einschätzung und eine gute Empfehlung.

12. Die meisten „Nur-Coaches“ werden kein langes Leben haben.

„Mindestens die Hälfte der Personen, die aktuell unter der Berufsbezeichnung Coach ihre Leistungen anbieten, werden in vier, fünf Jahren entweder wieder vom Markt verschwunden sein oder unter einer anderen Berufsbezeichnung ihre Dienste anbieten.“

Ob die durchschnittliche Lebenserwartung eines Coaches kürzer ist als die der Durchschnittsbevölkerung, wage ich zu bezweifeln, so stressig ist die Profession nun auch wieder nicht. Natürlich wird es Veränderungen im Markt geben. Ob sich die Anzahl der sogenannten Coaches tatsächlich halbiert, sei dahingestellt. Die Marktbereinigung mag auch zu Zusammenschlüssen, ähnlich wie bei Gemeinschaftspraxen oder Anwaltskanzleien führen. Oder das Führen des Titels „Coach“ wird an eine akademische Ausbildung gebunden. Mastersturdiengänge zum Coach gibt es ja bereits.

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(Bild: © ioannis kounadeas – Fotolia.com)

Dr. Cornelia Topf

Seit über zwanzig Jahren unterstützt Cornelia Topf als internationale Managementtrainerin und zertifizierter Businesscoach Unternehmen. Zu ihren Schwerpunkten gehören zielführende Kommunikation und erfolgsorientierte Körpersprache. Insbesondere die Förderung von Frauen liegt ihr am Herzen. Die Geschäftsführerin von „metatalk Kommunikation & Training“ ist Autorin vieler Fachbücher und Ratgeber, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Sie ist zudem eine gefragte Expertin in den Medien.

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One Comment

  • OLAF HINZ sagt:

    Sie haben Recht: Herr Kuntz inzeniert sich als Branchenberater, indem er die alten Kamellen aufwärmt…
    Viel spannender finde ich da, was heute im Harvard Business Manager (wieder mal) publiziert wurde (http://www.harvardbusinessmanager.de/heft/artikel/grossbild-747026-3859566.html):

    Der Wunsch nach Selbstähnlichkeit: „Mein Coach muss das gemacht haben, was ich gemacht habe, er muss mit Leuten arbeiten, die meine Kategorie haben und er muss sich in meinem Kontext gut auskennen.“

    Völlig unter die Räder kommt dabei eines der zentralen Leistungen im professionellen Business Coaching: Das Einführen von Unterschieden!

    Oder wie es James March gesagt hat:
    „Das Herzstück einer guten Beratung ist die Einsicht, dass kein Berater genug über die Zusammenhänge weiß, um konkrete Ratschläge zu erteilen.
    Ein guter Berater kann bestimmte Dinge ansprechen. Was er sagt ist immer irgendwie falsch. Es sollte aber mindestens so falsch sein, dass es einen Manager
    dazu bringt, noch einmal neu darüber nachzudenken, was er eigentlich tut.“

    Ich finde: Wirksames Coaching braucht mehr professionelle Fremde, statt ehemalige Kollegen auf Augenhöhe….

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