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Sie gehen gegen Schlamperei, Schluderei, Anglizismen, falsch gesetzte Apostrophe vor und sehen die deutsche Sprache am Rande des Untergangs. Stilpäpste fanden und finden ein breites Publikum, das sich diebisch mitfreut, wenn es angebliche Fehler aufspürt.

Sprachpfleger gibt es nicht erst seit heute, sondern seit mehreren Jahrhunderten. Eine der ersten Gemeinschaften war die „Fruchtbringende Gesellschaft“. Später richteten sich die Bemühungen gegen den Einfluss des Französischen (noch Kurt Tucholsky schrieb Bureau), heute in erster Linie gegen den Einfluss des Englischen.

Sprache soll konserviert werden

Sprachpfleger tauchen in unseren Schulen ebenso auf wie in allen Buchläden und auf Podien. Daher glauben viele, wer überall vorhanden ist, muss wahr sein. Herr Sprachpflege versucht, den jeweils aktuellen Entwicklungsstand einer Sprache zu konservieren. Für ihn ist die gegenwärtige Norm die beste, die es zu erhalten gilt. Er moniert Änderungen, Entwicklungen, Entlehnungen. Worin jedoch besteht sein grundlegender Denkfehler?

Sprache beruht auf Regeln, die nicht von einer außenstehenden Instanz festgelegt wurden, sondern sich herausgebildet haben und sich ändern. Als Kleinkinder lernen wir diese Regeln beim Hören und nachahmenden Sprechen. Nun gab und gibt es immer Menschen, die glauben: Sprache sei starr und verändere sich nicht, und nur aktuell gesprochenes Deutsch ist gutes Deutsch. Darum schreiben sie Bücher, gründen Vereine und verfolgen damit ein Ziel: Konservieren, einmotten, in Schraubzwingen einklemmen.

Sprache ist ein lebender Organismus

Unsere Sprache entwickelt sich aber, sie ist ein lebender Organismus, ein höchst effektiver dazu. Alles, was unproduktiv ist, wirft sie raus. Positiv formuliert: Wenn Sprecher und Schreiber einen Sachverhalt mit einer einfacheren Struktur mitteilen können, löst diese eine komplizierte ab. Alle so genannten Sprachkritiker – und davon gab und gibt es in Deutschland nicht wenige – missachten dieses naturgegebene Grundprinzip der Sprache.

Sprache kann man also immer nur beschreiben, ihren Zustand, ihr Wirken, ihre Veränderungen. Wer als Nutzer darauf einwirken will, von außen den gegebenen Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt konservieren zu wollen, steht von vornherein auf verlorenem Posten, denn die vielen Millionen Sprachnutzer entwickeln die Sprache weiter.

Regeln einhalten oder nicht?

Die Frage stellt sich nun, was tun? Duden und alle Regelbücher beiseite legen und wild drauflos schreiben? Nein. Regelwerke dokumentieren den Zustand einer Sprache in einem bestimmten Zeitraum. Damit die Kommunikation mit allen Sprachnutzern möglichst reibungslos funktioniert, sollten sich Sprachnutzer natürlich an diese Regeln halten und sie beachten. Regelwerke aber können diesen Zustand nicht konservieren und sollten dies auch tunlichst vermeiden.

Und Sprachpfleger, egal wie populär sie auftreten, werden das äußerst produktive, sehr gewandte und ständig im Wandel begriffene Riesentier Sprache nie an die Kette legen können. Dieses Unterfangen muss allein schon darum scheitern, weil viele Millionen Menschen es täglich verwenden und täglich verändern.

(Bild: © Petr Vaclavek – Fotolia.com)

Dr. Jens Kegel

Dr. Jens Kegel ist Spezialist für verbale Unternehmenskommunikation und Selbstmarketing. Als Texter, Autor und Ghostwriter schreibt er seit Jahren für Unternehmen. Als Referent und Trainer gibt er seine umfangreichen Erfahrungen in Vorträgen und Seminaren weiter. Zugleich beschäftigt er sich mit verschiedenen Wissenschaftsbereichen, deren Erkenntnisse er für Praktiker aufbereitet.

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4 Comments

  • Dr. Hans Kaufmann sagt:

    Herr Kegel irrt gewaltig, sowohl hinsichtlich der Notwendigkeit von Sprachpflege als auch hinsichtlich der Mechanismen von Sprachveränderung. Es geht gar nicht darum, die deutsche Sprache auf einem historischen Zustand festzuhalten. Niemand will das, niemand kann das. Aber die Vorstellung von einem quasi naturwüchsigen Prozess, bei dem alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft gleichberechtigt und demokratisch über die Entwicklung ihrer Sprache entscheiden, wird durch die Einwirkung sprachmächtiger Interessenten und Akteure in Wirtschaft, Werbung und Politik täglich widerlegt. Sprache ändert nicht sich selbst, sie wird hier oft zielstrebig und bewusst verändert. Breite Schichten der Gesellschaft erleben teils hilflos, teils verärgert, wie ihre Sprache mit importierten Elementen durchsetzt wird, die vorhandene Ausdrücke verdrängen, eigene Neuschöpfungen verhindern und die Verständigung bereits jetzt erschweren. Das ist nicht niedlich. Herr Kegel ist nicht auf der Höhe des Problems.

    • Jens Kegel sagt:

      Hallo, Herr Kaufmann, schön, dass der Beitrag konträr beantwortet wird. Lesen Sie einfach „Sick of Sick“ eines Linguisten. Da finden Sie die linguistisch begründete Argumentation gegen das Wirken der Sprachpflege. Zum Zweiten: Wann haben Sprachpfleger je ihre Ziele erreicht? Zum Dritten: Wenn es „Interessenten und Akteuren in Wirtschaft, Werbung und Politik“ täglich gelingt, unsere Sprache bewusst (?) zu verändern, warum können dann Sprachvereine dies nicht rückgängig machen oder stoppen?

  • Dr. Gawlitta, Kurt sagt:

    Das erprobte Muster, die Diskussion über die organisierte Amerikanisierung der deutschen Sprache zu tabuisieren: Der Autor baut zunächst einige Pappkameraden auf, um sie dann zu bekämpfen.
    1) Das pseudobiologische Argument von der natürlichen Entwicklung der Sprache will nur das Wechselverhältnis zwischen den Individuen der Sprachgemeinschaft und der Landessprache wahrnehmen. Beflissentlich verkannt wird der Einfluss sprachmächtiger Milieus in Wirtschaft, Wissenschaft und Massenmedien, unablässig englische oder pseudoenglische Wörter in die Sprache zu drücken, weil sie es so wollen. Die Entwicklung neuer Wörter der eigenen Sprache wird nicht mehr betrieben oder gefördert, weil sie es eben nicht wollen.
    2) Die kritisierten Sprachpfleger, insbesondere der Verein Deutsche Sprache, versuchen durchaus nicht, die deutsche Sprache in ihrem aktuellen Stand festzuschreiben. Sie setzen sich leidenschaftlich dafür ein, die Landessprache durch eigenständige Wortbildung lebendig zu erhalten und den Automatismus organisierter Importe zu stoppen. Dies geschieht aber eben nicht naturhaft von selbst, sondern muss als gesellschaftliche Aufgabe angenommen und in Gang gebracht werden. Dafür sind verschiedene Organisationsformen vorstellbar. Die Sprachgemeinschaft muss dies aber wollen, während sie sich jetzt der Globalisierung der Sprache in der US-amerikanischen Variante ausliefert(vgl. dazu http://www.vds-ev.de/ag-wortbildung-thema).

  • Regina sagt:

    Wundervoller Beitrag.
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    Könnten Sie diesen an die Deutschlehrer meiner Kinder sowie unseren diversene Kultusministerien schicken?
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    Wenn unseren Kindern nämlich mit Sicherheit immer noch eines vergällt wird, dann ist das die Deutsche Sprache.
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    Als Flucht kommunizieren sie mit Halbanglizismen und Tastaturcodes.
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    btw u r gr82 <3 gg

    thx
    mfg

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