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Coworking – für manche ist es die Zukunft des Arbeitslebens, für andere ein aus den USA herübergeschwappter Hype, der sich erst noch behaupten muss.

Unternehmer.de sprach mit Sina Brübach-Schlickum vom Münchener Coworking-Space „Combinat 56“  und Florian Siepert von der Hamburger Coworking-Institution „betahaus“ über die Fakten, den Trend und die Zukunft dieser neuen Form des Zusammenarbeitens.

UNTERNEHMER.DE: Frau Brübach-Schlickum, Herr Siepert, Coworking ist in den USA schon länger ein Trend, in Deutschland dagegen immer noch ein Novum. Deshalb für alle Unwissenden vorneweg die Frage: Was ist eigentlich Coworking?

Sina Brübach-Schlickum (Combinat 56, München): Eine Art Car-Sharing für Arbeitsplätze. Man kann tageweise oder monatlich, halbtags oder ganztags einen Schreibtischarbeitsplatz mieten und mit allen anderen die Ressourcen eines Open-Space-Büros teilen: W-Lan, Drucker, Besprechungsraum usw. Alles wird günstiger, das ist das eine. Das andere: Coworking ist mehr als das klassische Gemeinschaftsbüro. Ein Coworking-Space ist ein Ort für Freiberufler und Mikrounternehmer, die Gefahr laufen, im Home-Office in Einsamkeit und Haushaltsersatzhandlungen unterzugehen. Hier arbeiten Menschen nebeneinander, die sich nicht unbedingt kennen, sich auch nicht unbedingt mit den gleichen Dingen beschäftigen. Wenn sie wollen, tauschen sie sich aus, inspirieren sich und arbeiten an gemeinsamen Projekten. Auf dem Sofa am Empfang, beim anständigen Espresso in der Cafélounge, auf Augenhöhe am gemeinsamen Schreibtisch.

UNTERNEHMER.DE: Welche Arten von Coworking-Plätzen gibt es im Münchener Combinat 56 und im Hamburger betahaus, und was kosten sie?

Sina Brübach-Schlickum (Combinat 56, München): Im Combinat 56 [siehe Bild links – d. Red.] kann man zu unterschiedlichen Tageszeiten, flexibel in der Laufzeit und kombiniert mit zusätzlichen Angeboten Besprechungsräume und Schreibtische buchen. Jeder Arbeitsplatztarif  beinhaltet freie Platzwahl in einem professionellen und kreativen Arbeitsumfeld, die Nutzung von WLAN und LAN, Fair-use von Drucker, Scanner, Kopierer, Fax, Telefon, Präsentation auf der Webseite sowie Kaffee. [Alle Preise finden sich auf der Webseite, siehe Linktipps am Ende des Artikels – d. Red.]

Florian Siepert (betahaus Hamburg): Das betahaus Hamburg bietet 44 Arbeitsplätze in unterschiedlichsten Konstellationen, vom Vierer-Teamtisch über ruhige Einzelplätze bis hin zum Bistrostuhl am großen Gemeinschaftstisch, an dem wir auch gemeinsam frühstücken. Vom Tagesticket zu 17 Euro, über 12 Tage im Monat ab 139 Euro, bis hin zur Luxuslösung mit eigenem Schlüssel, Schließfach und Briefkasten für 299 Euro ist unser Angebot sehr flexibel.

UNTERNEHMER.DE: Wie sind die Häuser organisiert, wer ist der Eigentümer bzw. „Hausherr“?

Sina Brübach-Schlickum (Combinat 56, München): Beim Combinat 56 handelt es sich um einen Erstbezug von fast „normalen“ Büroflächen, die von der Bouwfonds GmbH vermietet werden. Mieter bzw. Betreiber ist die Combinat 56 GmbH mit einer geschäftsführenden Gesellschafterin.

Florian Siepert (betahaus Hamburg): Das betahaus Hamburg wird gemeinsam vom Berliner betahaus, der Hamburger Softwareagentur mindmatters und drei Einzelgesellschaftern betrieben. Wir teilen uns die anfallenden Aufgaben, für unsere User gibt es von 9 bis 19 Uhr immer einen festen Ansprechpartner, den sogenannten Host.

UNTERNEHMER.DE: Müssen die Zeiten reserviert werden oder hat jeder Coworker seinen/ihren festen Platz, der nur von ihm/ihr genutzt werden darf?

Sina Brübach-Schlickum (Combinat 56, München): Die beiden Besprechungsräume müssen vorab reserviert werden. Das Raumbuchungssystem auf unserer Webseite zeigt, ob der Wunschtermin frei ist. Ein Arbeitsplatz muss vorher nicht reserviert werden. Das Konzept ist so angelegt, dass Coworker flexibel kommen können und auch einen Platz finden. Das funktioniert dank Desk-Sharing super, weil jeder seinen Platz nach dem „Feierabend“ wieder aufräumt, abgesehen von Sonderabsprachen mit „Dauermietern“.

Florian Siepert (betahaus Hamburg, siehe Bild links): Natürlich kann man bei uns jederzeit vorbeikommen, sich einen Platz suchen und arbeiten. Wenn es einmal tatsächlich zu voll sein sollte, wird man das sicherlich über unseren Twitteraccount @betahaushh erfahren. Feste Arbeitsplätze gibt es genau so wenig wie abgeschlossene Einzelbüros. Die Zukunft der Arbeit ist eine gemeinsame Zukunft.

UNTERNEHMER.DE: Wie muss man sich die Fluktuation vorstellen: Gibt es auch Coworker, die über einen langen Zeitraum bei Ihnen anzutreffen sind, oder wechselt das Publikum in kurzen Abständen?

Sina Brübach-Schlickum (Combinat 56, München): Die Hälfte mietet sich gleich monatsweise ein, weil sie intensiv an einem Projekt oder Auftrag arbeiten und quasi dann rund um die Uhr Zugang zum Space haben. Die andere Hälfte kommt flexibel, wobei sich die meisten ihre 10er Karten abstempeln lassen und dementsprechend oft zum Arbeiten vorbeikommen.

Florian Siepert (betahaus Hamburg): Wir haben das betahaus Hamburg [siehe Bild links – d. Red.] erst Anfang Juli eröffnet, deswegen fehlen uns noch die Erfahrungswerte. Im Idealfall wird es wie in einer guten Bar sein: Eine Mischung aus guten Bekannten und neuen Gesichtern.

UNTERNEHMER.DE: Ist ein konzentriertes Arbeiten bei soviel Trubel möglich? Gibt es diesbezüglich Regeln in Ihren Coworking-Spaces?

Sina Brübach-Schlickum (Combinat 56, München): Ja, es gibt ein paar Regeln, aber im Grunde erziehen sich die Coworker selbst. Für lange Telefonate zieht man sich zurück, andere arbeiten mit Kopfhörer. Intensiv gequasselt wird in der Küche. Ein Grundrauschen im Space ist sogar eher angenehm, dann fühlt man sich selber nicht so belauscht.

Florian Siepert (betahaus Hamburg): Wir haben unsere Räume so gestaltet, dass sich einzelne Bereiche stärker für Kommunikation, andere eher für ruhiges Arbeiten eignen. Wir wollen es ohne ein starres Regelwerk schaffen, einen für möglichst diverse Zwecke geeigneten Coworking-Space anzubieten. Das erste Feedback ermutigt uns, diesen Weg weiterzugehen.

UNTERNEHMER.DE: Gibt es schon so etwas wie Erfolgsstorys, ein einsamer Freelancer, der den Schritt ins Coworking wagte und dank der Synergieeffekte schließlich richtig durchstartete?

Sina Brübach-Schlickum (Combinat 56, München, siehe Bild links): Es bahnen sich derzeit Kooperationen an. Eine Filmemacherin kam gezielt rein und wollte ein Kreativteam für ein neues Vorhaben zusammenstellen. Andere geben „Branchenkollegen“  etwas ab, wenn es ihnen selber zu viel wird.

Florian Siepert (betahaus Hamburg): Early days! Aber unser erster User ist mittlerweile unser Netzwerk-Admin. Für ihn hat sich der Schritt ins betahaus also schon gelohnt. Und für uns hat das ganz nebenbei eine wichtige Anforderung gelöst.

UNTERNEHMER.DE: Zusammensein auf engstem Raum: Haben im betahaus oder im Combinat 56 auch schon einsame Freelancer-Herzen zueinander gefunden bzw. sind auch schon mal so richtig die Fetzen geflogen?

Sina Brübach-Schlickum (Combinat 56, München): Nicht, dass ich wüsste. Es läuft bisher alles sehr harmonisch ab.

Florian Siepert (betahaus Hamburg): Siehe auch Bravo Girl August 2010: Wird das coole Fische-Coworking-Girl ihren Schwarm von der echt krassen Makerbot-Party wiedersehen?

UNTERNEHMER.DE: Noch steckt das Coworking in Deutschland in den Kinderschuhen. Welchen Stellenwert wird Coworking Ihrer Meinung nach in Deutschland in zehn Jahren haben?

Sina Brübach-Schlickum (Combinat 56, München): Coworking-Spaces entsprechen dem Zeitgeist und damit zum einen dem Dilemma, dass Freiberufler – insbesondere Existenzgründer – unregelmäßige Projekte und Einnahmen beziehen, was wiederum dazu führt, dass man sich eben kein eigenes Einzellenbüro ans Bein hängt bzw. hängen kann. Zum anderen entsprechen sie der Arbeitswelt der Zukunft, die durch immer mehr freie Wissensarbeiter, wie Selbstständige und Freiberufler, geprägt sein wird. Eine Gruppe, die bestens digital vernetzt ist, aber oft in Cafés oder im Home-Office einsam ihr Dasein fristet. In München kann man sich nun aus diesen Zwängen befreien. In Zukunft wird es viele Coworking-Spaces in einer Stadt geben, die auf unterschiedlicher Weise betrieben werden. Der Coworker wird seine „Stammkneipe“ haben und ab und zu mal woanders reinschauen.

Florian Siepert (betahaus Hamburg): Coworking wird in zehn Jahren vermutlich ein etabliertes Angebot neben vielen sein, um unter angenehmen Bedingungen arbeiten zu können. Schön wäre eine Situation mit vielen vernetzten Coworking-Spaces, die es Coworkern ermöglicht, problemlos und flexibel in vielen Städten arbeiten zu können.

Unternehmer.de: Frau Brübach-Schlickum, Herr Siepert, wir bedanken uns für dieses Gespräch!

Das Interview führte Unternehmer.de-Redakteur Mathias Sauermann.

(Bilder: Netzwerk: © Varina Patel – Fotolia.com, Combinat56: Tobias Schuhmacher Fotografie, info@tobiasschuhmacher.de)

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