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Fotolia_17359764_XSDie Abwärtsspirale des allgemeinen Lohnniveaus ist in den letzten Jahren nahezu zum Selbstläufer geworden. Bei manchem mag deshalb der Eindruck entstehen, dass das Gesetz keinen Schutz gegen Billigstlöhne bietet.

Doch das ist nicht der Fall. Bezahlt ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer einen Wucherlohn, kann dies für ihn nicht nur arbeitsrechtliche sondern auch strafrechtliche Konsequenzen haben.

Marktwert der Arbeit gemäß Tariflohn

In Deutschland gibt es keinen gesetzlichen Mindestlohn wie in den meisten EU-Mitgliedstaaten. Es ist also grundsätzlich Sache von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das Gehalt im Arbeitsvertrag individuell zu vereinbaren. Allerdings existieren für einige Wirtschaftszweige branchenspezifische Mindestlöhne, beispielsweise in der Baubranche und im Handwerk für Dachdecker, Maler und Lackierer.

Soweit kein branchenspezifischer Mindestlohn vorliegt, können Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften eine Lohnvereinbarung in einem Tarifvertrag vereinbaren, der für Unternehmen verpflichtend ist, wenn sie tarifgebunden sind.

Doch auch wenn keine Tarifbindung für den Betrieb besteht, sollte sich ein Arbeitgeber bei der Gehaltskalkulation an den für seine Branche geltenden Tarifverträgen orientieren. Wenn keine einschlägigen Tarifverträge existieren, können verwandte Tarifverträge zur Bestimmung einer angemessenen Lohnhöhe herangezogen werden. Die Orientierung ist wichtig, damit man als Arbeitgeber nicht Gefahr läuft, eventuelle Ausgleichszahlungen zu leisten.

Gesetzliche Grundlagen

Zwar ist das Gehalt weitläufig Verhandlungssache zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gewerkschaften. Allerdings setzt das deutsche Rechtssystem dem Lohn nach unten Grenzen. Für die arbeitsrechtliche Seite ist § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) einschlägig, der zwischen der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts einerseits (Absatz 1) und Lohnwucher bzw. Wucher andererseits (Absatz 2) unterscheidet.

Liegt einer der Tatbestände vor, ist die entsprechende Lohnvereinbarung nichtig. Der Arbeitnehmer kann in diesem Fall rückwirkend gemäß § 612 Abs. 2 BGB den Differenzbetrag bis zur Höhe des angemessenen Lohns vom Arbeitgeber fordern.

Unabhängig davon kann sich ein Arbeitgeber auch wegen Wucher gemäß § 291 Abs. 1 Nr. 3 im Strafgesetzbuch (StGB) strafbar machen, wenn er die angemessene Lohngrenze objektiv unterschreitet und sich der Ausbeutung schuldig macht und sich Vermögensvorteile verschafft oder versprechen lässt.

Das Gesetz sieht für Wucher eine Geldstrafe und sogar eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor. In besonders schweren Fällen, etwa bei gewerbsmäßigem Wucher, ist eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs bis zu zehn Jahren vorgesehen.

Sittenwidriges Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB

Eine sittenwidrige Lohnvereinbarung gemäß § 138 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn bei ihr ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Zu berücksichtigen ist hier nicht nur die Höhe des Gehalts. Aus den gesamten Umständen, also aus Inhalt, Beweggrund und Zweck der Lohnvereinbarung, muss sich die Sittenwidrigkeit ergeben.

Es spielt dabei auch keine Rolle, ob der Arbeitgeber sich der Sittenwidrigkeit der Gehaltsregel bewusst war oder ob er mit Schädigungsabsicht gehandelt hat, Kenntnis vom Missverhältnis zwischen beiden Leistungen genügt.

Allerdings müssen neben dem auffälligen Missverhältnis weitere sittenwidrige Umstände vorliegen, etwa eine verwerfliche Gesinnung des durch die Vereinbarung Begünstigten. Eine verwerfliche Gesinnung liegt nicht nur vor, wenn der Wucherer die schwächere Lage des anderen bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt, sondern bereits, wenn er sich der Einsicht leichtfertig verschließt, dass sich der andere nur wegen seiner schwachen Ausgangslage oder gezwungenermaßen wegen der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einlässt.

Von einer verwerflichen Gesinnung ist auszugehen, wenn das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders auffällig ist.

Lohnwucher, § 138 Abs. 2 BGB

Der in § 138 Abs. 2 BGB normierte Lohnwucher knüpft an die Ausbeutung an:

  • Ein Rechtsgeschäft ist nichtig, durch das sich jemand unter Ausbeutung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit oder eines mangelnden Urteilsvermögens eines anderen für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Im Arbeitsrecht erfasst § 138 Abs. 2 BGB Arbeitsverhältnisse, in denen zwischen dem Wert der Arbeitsleistung und der Höhe des Lohns ein auffälliges Missverhältnis besteht. Subjektiv muss hier der Arbeitgeber die Situation des Arbeitnehmers bewusst ausbeuten und sich diese zunutze machen.

Zeitraum der Gehaltszahlung maßgeblich

Für Lohnvereinbarungen gelten besondere Regeln in Hinblick auf den für § 138 BGB relevanten Zeitpunkt. Normalerweise kommt es immer auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Beim Arbeitsverhältnis ist jedoch der gesamte Zeitraum entscheidend, über den eine sittenwidrige Lohnvereinbarung in Betracht kommt.

Es ist also durchaus möglich, dass eine zunächst gesetzesgemäße Gehaltsvereinbarung nachträglich sittenwidrig werden kann, wenn das Gehalt nicht an eine faktische Kaufkraftsenkung durch Inflation oder gestiegene Lebenshaltungskosten angepasst wird.

Grenzen für Sittenwidrigkeit

Es hat lange gedauert bis das Bundesarbeitsgericht gefordert war, für das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung einen festen Grenzwert zu bestimmen. Bereits 1997 hat der Bundesgerichtshof im Rahmen einer Strafverurteilung eines Bauunternehmers, der zwei tschechischen Maurern einen Wucherlohn gezahlt hatte, einen Richtwert vorgegeben:

  • Danach ist ein Lohn sittenwidrig, wenn er unterhalb von zwei Dritteln des in der Branche und Region üblicherweise gezahlten Tariflohns liegt (Beschluss v. 22.04.1997, Az.: 1 StR 701/96). An diesem Grenzwert orientierten sich die Arbeitsgerichte, wenn sie entscheiden mussten, ob ein Lohn sittenwidrig ist.

Diesen Grenzwert des BGH hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil v. 22.04.2009 auf die arbeitsrechtliche Komponente übertragen (Az.: 5 AZR 463/08). Der Entscheidung lag ein besonders schwerwiegender Fall von Lohndumping zugrunde:

  • Eine Portugiesin, die kein Deutsch konnte, war als Hilfskraft in einem Gartenbaubetrieb beschäftigt. Laut dem in Portugiesisch verfassten Arbeitsvertrag arbeitete sie für einen Stundenlohn in Höhe von 3,25 Euro im Monat bis zu 352 Stunden. Sie und ihre Familie bekamen vom Arbeitgeber eine Wohngelegenheit auf dem Betriebsgelände gestellt. Der 5. Senat bestätigte, dass dieser Stundenlohn unter zwei Dritteln des Tariflohns lag. Aus seiner Sicht lag zweifelsohne Ausbeutung und damit Lohnwucher gemäß § 138 Abs. 2 BGB vor, was die gesetzeswidrig hohen Arbeitszeiten verdeutlichten.

Bezug auf den Tarifvertrag

Ob ein Missverhältnis zwischen Arbeitsleistung und Gehaltszahlung vorliegt, ermittelt sich im Einzelfall anhand objektiver Kriterien.

  • Im ersten Schritt wird geprüft, ob für die jeweilige Tätigkeit des Arbeitnehmers in dem Wirtschaftszweig üblicherweise Tariflohn bezahlt wird.
  • Ist dies der Fall, bestimmt sich die Festlegung des objektiven Wertes der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers anhand der Zwei-Drittel-Grenze gemäß dem Tariflohn.
  • Wird in dem Wirtschaftszweig mehrheitlich kein Tariflohn gezahlt, wird das allgemeine Lohnniveau herangezogen.

Achtung: Ob ein Gehalt sittenwidrig ist, richtet sich folglich nicht nach dem Abstand zwischen Arbeitsentgelt und dem Sozialhilfesatz oder der gesetzlichen Pfändungsgrenze. Das Arbeitsgericht Dortmund hat es zum Beispiel im Einzelhandel ebenfalls abgelehnt, bei der Sittenwidrigkeit das niedrigere Lohnniveau im Ausland zu berücksichtigen (Urteil v. 14.05.2008, Az.: 10 Ca 279/08).

Nicht nur sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsverhältnisse können sittenwidrig sein, sondern auch andere Beschäftigungsformen wie Teilzeit- oder Mini-Jobs. Auch bei solchen Arbeitsverhältnissen müssen die arbeitsrechtlichen Vorgaben beachtet werden. Durch den Wegfall der Arbeitszeitbegrenzung bei den Mini-Jobs kann es beispielsweise zu sittenwidrigen Löhnen kommen, wenn die Arbeitszeiten außergewöhnlich hoch sind, die Vergütung aber gleich bleibt.

Der Arbeitgeber kann dies leicht kontrollieren, indem er anhand der Arbeitszeit den Stundenlohn umrechnet und gegebenenfalls einem sittenwidrigen Lohn gegensteuert.

Zuschläge, Zulagen und Sonderleistungen

Bei der Zwei-Drittel-Grenze werden Zuschläge wie Weihnachtsgeld, Sonn- und Feiertagsgeld nicht berücksichtigt. Das gilt sowohl für die Bestimmung des Tariflohns als auch in Hinblick auf die Zahlungen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zukommen lässt. Im Einzelfall können Korrekturen an der Zwei-Drittel-Grenze möglich sein.

Versucht sich jedoch der Arbeitgeber damit herauszureden, dass seine Firma schlecht läuft und er deshalb keinen angemessenen Lohn zahlen kann, wird ihn das hier nicht weit bringen. Denn eine geringe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betriebs spielt bei der Beurteilung dieser Frage keine Rolle.

Es hilft auch nichts, wenn der Arbeitgeber vorbringt, er habe die Zwei-Drittel-Grenze nicht gekannt und sich, weil für sein Unternehmen keine Tarifbindung besteht, dafür berechtigt gehalten, einen entsprechend niedrigen Lohn zu zahlen. Es reicht aus, dass er den Wert seiner Leistung kannte, also im Fall der Portugiesin die Gehaltshöhe und den Wert des Sachbezugs.

Anspruch auf Gehaltsnachzahlung

Mittlerweile haben die Arbeitsgerichte die Bestätigung der Zwei-Drittel-Grenze des Bundesarbeitsgerichts dankbar angenommen, etwa das Landesarbeitsgericht München, das über den Fall einer Altenpflegerin entscheiden musste, die in einem Altenpflegeheim bei einer Wochenarbeitszeit von 42 Stunden zu einem Stundenlohn von 4,12 Euro beschäftigt war. Laut dem ortsüblichen Tariflohn hätte der Stundensatz jedoch rechnerisch etwa 11,50 bis 12,- Euro betragen müssen.

  • Liegt Lohnwucher vor, steht dem Arbeitnehmer gemäß § 612 Abs. 2 BGB ein Ausgleichsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber zu. Die Höhe des Anspruches richtet sich nicht lediglich danach, welches Gehalt gerade noch den Sitten entspricht. Es wird also nicht der zulässige niedrigste Lohn gewährt, sondern der übliche Lohn, wobei wiederum vergleichbare Tariflöhne herangezogen werden.

Dem entsprechend verurteilte die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts München den Arbeitgeber der Altenpflegerin zu einer Gehaltsnachzahlung von insgesamt 25.686,- Euro, was für jeden Monat ihrer Beschäftigung rund 1.229,- Euro ergibt (Urteil v. 03.12.2009, Az.: 4 Sa 602/09).

(Bild: © Dark Vectorangel – Fotolia.com)

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