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Fehlt es in Deutschland an neuen Ideen? Was haben uns die innovativen Unternehmen voraus? Im zweiten Teil erfahren Sie mehr über die Innovationsbremsen Kontrolle und Perfektionismus.

Innovationsbremse 3: das Bedürfnis nach Kontrolle

Wenn Nike-Designer Tinker Hatfield von der Erfindung des Nike Air erzählt, leuchten seine Augen. Das Centre George Pampidou in Paris habe bei der Turnschuherfindung Pate gestanden, sagt er. Nike räumt seinen Designern eine fast grenzenlose Freiheit ein. Leidenschaft statt Stechuhr, so lässt sich das Erfolgsrezept des Unternehmens auf den Punkt bringen.

Als Nintendo die Spielkonsole Wii entwickelte, forderte das Unternehmen seine Techniker und Designer immer wieder auf, möglichst tollkühn zu denken und Grenzen zu überschreiten. Und der Chip-Hersteller Intel macht fast einen Sport daraus, seine Entwickler die schwersten, beinahe unlösbaren Probleme lösen zu lassen. Es sind nicht nur die ausgefeilten Prozesse, die diese Unternehmen zu Innovationsführern machen, sondern die einzigartige Kultur, die dahinter steht.

In den weltweit innovativsten Unternehmen verwalten Manager nicht, sie gestalten. Sie fordern ihre Mitarbeiter auf, das Unmögliche zu denken und die Grenzen des Bestehenden zu sprengen. Dahinter steht ein tiefes Verständnis von Kreativität. „Fun and Focus“ – eine Mischung aus klaren, extrem ehrgeizigen Zielen und einem Prinzip der Spaßmaximierung bei der Arbeit, das ist das Erfolgsrezept der weltweit innovativsten Unternehmen. Ideenfindung als Abenteuer, nicht als durchgeregelter Prozess, bei dem jede Stufe genau einzuhalten ist. In vielen dieser Unternehmen gibt es Führungsprinzipien, die in deutschen Firmen größtenteils undenkbar sind. Beispielsweise, dass sich Mitarbeiter Aufgaben selbst suchen, sich Teams von Mitstreitern selbst zusammenstellen und Innovationen entwickeln, ohne dass das Topmanagement zu 100 Prozent weiß, was die Mitarbeiter eigentlich treiben.

Die US-Professoren Sam Stern, Alan G. Robinson und Theresa Amabile von der Harvard-Universität sehen die intrinsische Motivation schon lange als einen wesentlichen Treiber von Innovation. Der Gedanke dahinter ist einfach: Mitarbeiter, die sich ihre Entwicklungsprojekte selbst suchen, sind schneller, ideenreicher und produktiver als Mitarbeiter, die eine Aufgabe delegiert bekommen, für die sie sich möglicherweise gar nicht interessieren. Neue Managementprinzipien könnten deutsche Unternehmen binnen weniger Jahre zu neuen kreativen Höchstleistungen bringen.

Innovationsbremse 4: die Angst, nicht perfekt zu sein

Beim amerikanischen Handy-Hersteller Research in Motion (Blackberry) gibt es ein einfaches Prinzip: die „9 von 10“-Regel. Neun Mal muss etwas schief gehen, damit es beim zehnten Mal funktioniert. Die Virgin Group hat die simple Philosophie „Pionier sein, nicht dem Pionier folgen.“ Und der indische Tata-Konzern vergibt jedes Jahr sogar einen Preis für eine gescheiterte Innovation: Beim jährlichen Wettbewerb „Innovista“ wird eine Innovation ausgezeichnet, die ernsthaft versucht wurde, dann aber gescheitert ist. Durch solche Regeln, Philosophien und Maßnahmen wollen diese Unternehmen vor allem eines ausdrücken: Scheitern willkommen! Sie haben erkannt, dass es Innovation mit Vollkaskoschutz nicht gibt. Scheitern ist in diesen Unternehmen nichts Negatives.

Anders in Deutschland. Hier ist die Kultur zahlreicher Unternehmen von äußerster Vorsicht geprägt. Im Grundsatz ist das nicht schlecht, hält es doch Hasardeure davon ab, die Firmen ins Unglück zu stürzen. Doch allzu oft ist die Vorsicht übertrieben. Angst als generelle Einstellung wirkt wie eine chemische Keule bei der Unkrautvernichtung: Das schädliche Unkraut ist weg, aber alle nützlichen Pflanzen, Käfer und Schmetterlinge ebenso. Mit den waghalsigen Ideen, die ein Unternehmen an den Rand des Ruins bringen können, werden oft auch die hoffnungsvollen schwachen Ideenkeime getötet.

Die Frage, wie Unternehmen kreativer beziehungsweise innovativer sein können, ist keine schöngeistige Debatte. Denn genau das, was deutsche Firmen erfolgreich macht, wird ihnen im globalen Innovationswettbewerb vielfach zum Verhängnis: der Wunsch, alles perfekt, alles richtig, alles berechenbar zu machen. Ein Fehlschlag wie ihn Google mit Google Wave erlebte, wäre in vielen deutschen Unternehmen ein Desaster. Der Internetkonzern hat 2009 sein Programm als Nachfolger der E-Mail präsentiert und in einer Beta-Version auf den Markt gebracht. Ein Flop. 2010 stellte das Unternehmen Google Wave wieder ein.

Eine Katastrophe? Mitnichten! Auf Google Wave angesprochen, reagierte CEO Eric Schmidt auf der Techonomy-Konferenz im kalifornischen Lake Tahoe schulterzuckend: „Wir probieren Dinge aus und wir feiern unser Scheitern. In unserem Unternehmen ist es absolut in Ordnung, etwas besonders schwieriges zu versuchen, damit keinen Erfolg zu haben und daraus zu lernen.“ Es ist Teil der Google-Philosophie, Dinge auszuprobieren, Grenzen regelmäßig zu überschreiten und auch einmal in rechtliche Grauzonen vorzustoßen.  Google Street View wäre an der Rechtsabteilung fast aller deutschen Unternehmen gescheitert.

Die Konkurrenz im weltweiten Ideenwettbewerb kommt nicht nur aus den USA. Indien und vor allem China, lange Zeit nur als billige Produktionsstandorte und Kopierer im Visier, machen deutschen Unternehmen ebenfalls Konkurrenz. Unter den 50 weltweit innovativsten Unternehmen waren 2010 erstmals vier chinesische Unternehmen, daneben elf Unternehmen aus anderen asiatischen Staaten. Zum Vergleich: Deutsche Unternehmen stehen nur drei auf dieser Liste. Deutschland kann offenbar alles exportieren – außer Ideen.

Weitere Artikel dieser Serie:

Deutschland gehen die Ideen aus (Teil I)

(Bild: © iQoncept – Fotolia.com)

Dr. Jens-Uwe Meyer

Dr. Jens-Uwe Meyer ist Geschäftsführer der Innolytics GmbH, Buchautor und Keynote Speaker. Als Unternehmer entwickelt er Software für Unternehmens- und Organisationsentwicklung. Er ist Autor von 11 Büchern zum Thema Innovation. Sein Buch „Digitale Gewinner“ erschien 2019 im Verlag BusinessVillage.

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One Comment

  • Thomas Moos sagt:

    Jegliche Betrachtung ist relativ, auch die zum Thema „Deutschland geht die Ideen aus“.

    Deutschland ist voller Erfinder, Tüftler, Designer und kreativer Geister, leider aber fehlt es in Deutschland an Unternehmen die diese Quellen nutzen und in Produkte, Techniken und Services umsetzen. Mit rund 60.000 Anmeldungen von gewerblichen Schutzrechten pro Jahr beim DPMA, sollte man davon ausgehen, dass wir eine Land voller Erfinder sind. Leider wird nur immer diese Größe(Anzahl der Anmeldungen) als Maßstab für Kreativität und Erfindergeist im Land heran gezogen. Wenn man sich nun die Teilmenge der angemeldeten Erfindungen ansieht die von Einzelerfindern stammt, dann ermittelt wie viel dieser Ideen und Erfindungen tatsächlich realisiert werden, also wirtschaftlich gewinnbringend vermarktet werden, dann kommt man auf 2 bis max. 3% der Erfindungen. Was kann man hiervon ableiten? In Deutschland sind die wenigsten Unternehmen bereit Erfindungen umzusetzen, das bedeutet Risiken einzugehen und sich auch ein Scheitern zu erlauben. So lange sich jeder zu Hause einmal umdreht, dabei feststellt dass locker 85% aller Konsumgüter aus Asien kommen die uns umgeben, so lange hat Deutschland ein Defizit bei der Nutzung seines Kreativpotenzials. Nicht weil es keine Kreativität und keinen Ideenreichtum gibt, sondern weil die wenigsten Unternehmen bereit sind dieses gezielt zu etablieren und Innovationen auch in Produkte etc. zu realisieren. Andere Länder produzieren einfach Dinge und setzen Sie um, auch wenn einmal ein Flopp dabei ist. Aber in Deutschland lässt man lieber 10 Dinge bleiben, als eins davon umzusetzen. Wenn Sie als Erfinder in Deutschland Unternehmen anschreiben, um Ihre Erfindung vorzustellen, dann können Sie davon ausgehen, dass man sie in 2/3 der Fälle keine Reaktion erhalten werden, das ist Deutschland.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Thomas Moos

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