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Zusehends verlieren wir uns in der digitalen Welt: Die Dinge werden nicht einfacher, sondern komplizierter – weil nichts mehr zusammenpasst.

Wenn es so richtig schneit wie letztes Jahr kurz nach Weihnachten, dann habe ich Zeit, die Wohnung aufzuräumen, Thomas Middelhoff einen Brief ins Gefängnis zu schreiben oder ein neues Adapterkabel zu kaufen, um zwei ebenso neue mobile Endgeräte miteinander zu verbinden, deren wiederum neue Anschlüsse und neue Software wieder einmal nicht zueinander passen.

Da ich meist das falsche Verbindungskabel kaufe, nehme ich immer vorsorglich 2-3 unterschiedliche Kabel mit. Durch diese Technik ist es mir bisher zwar nicht gelungen, alle meine Geräte sinnvoll miteinander zu verbinden, aber immerhin 56 moderne Verbindungskabel in meinen Besitz zu bringen.

Faszination „mobile Welt“

Ich gestehe es offen: Die mobile Welt fasziniert mich. Die mobile Welt ist meine Welt. Um Ihnen einen kurzen Eindruck zu geben: Ich besitze ein iPad, einen Mac, einen PC, ein Mac-Book Pro, ein Samsung Galaxy S4 mit Karte, ein weiteres Samsung Galaxy S5 mit keiner Karte, also ohne Karte.

Diese Geräte sollten sich an drei Fernseher im Haus anschließen lassen und ihrerseits folgende Geräte erkennen:

Neben dem Smartphone eine analoge Sony Handycam, eine eindrucksvoll-professionelle Canon XH A1, eine GoPro-Hero2-Helmkamera, ein Audio-Podcast-Aufnahmegerät, eine Konica Minolta Fotokamera, ganz zu schweigen von mehreren Uralt-Geräten wie einem UHER-Tonbandgerät und diversen Monster-Video-Kameras, von denen nur sicher überliefert ist, dass ihr Produktionsdatum vor dem Geburtsdatum der ältesten Verkäufer im Media Markt liegt.

Für die logistische Großaufgabe, dieses Geräte-Sammelsurium untereinander zu vernetzen, stehen mir inzwischen 56 Verbindungskabel, unterschiedlichste Adapter sowie moderne Technologie wie Festplatten, Scanner, Cardreader, Video Converter und Bluetooth zur Verfügung.

Ich vermute, die Raumfähre Atlantis ließ sich einfacher zusammenbauen, denn ich räume freimütig ein: Ich habe völlig den Überblick verloren.

Nichts passt mehr an irgendwas, und passen mal die Kabel, passen die Programme nicht mehr. Passt das Programm, habe ich das Passwort vergessen. Weiß ich das Passwort, werde ich informiert, dass meine E-Mail-Adresse schon anderswo verwendet wird. Habe ich eine neue E-Mail-Adresse, ist der Speicher voll. Ist der Speicher geleert, erkennt der PC das Videoformat nicht.

Selbstverständlich habe ich alle Daten sicher in der Cloud – nur finde ich die Daten nicht mehr, denn leider sind sie inzwischen in drei Clouds verteilt, die mir eilfertige Anbieter aufs Auge gedrückt haben. Sollte nicht alles viel einfacher werden?

Haben mir die Mobil-Gurus nicht versprochen, dass doch alles einfacher wird, globaler, umfassender? Alles sollte mit allem vernetzt sein, jeder Mensch der Welt sollte auf alles in der Welt jederzeit Zugriff haben. Die produktive, effiziente, transparente Welt wurde mir verheißen.

Nur deshalb habe ich den ganzen Klumpatsch gekauft. Von Funklöchern, Adapterproblemen, zu geringen Speicherplätzen oder fehlenden Firewire-Kartenschlitzen hat niemand etwas gesagt.

Die ersten Zweifel

Als ein Techniker bei mir zu Hause kürzlich einen Datentransfer von meinem alten auf einen neuen Computer mit 2,4 Terrabyte Datenspeicher vornahm, dauerte dieser Vorgang geschlagene vier Stunden. Während dieser Zeit saß er auf seinem Stuhl und starrte den Bildschirm an. Da kam mir erstmals der Gedanke, ob uns diese neue digitalvertechnisierte Welt wirklich dem Ideal näherbringt, sich in der Arbeit zu verwirklichen und kreativ und schöpferisch tätig zu sein.

Offenbar haben wir genug damit zu tun, den ganzen Kommunikations-Kram überhaupt am Laufen zu halten. Es wäre schon viel gewonnen, wenn das moderne Marketing-Gewäsch der Anbieter mir nicht ständig vorgaukeln würde, dass alles mit ein paar Handgriffen und wenigen Klicks getan sei.

Nein, liebe Produzenten, es ist alles äußerst schwierig geworden und von einem Normal-Sterblichen mit vernünftigem Aufwand nicht mehr hinzubekommen. Wir verheddern uns heillos in Euren gefühlten Millionen von Anschlüssen und Adaptern und Updates. Wir verpulvern unsere Zeit sinnlos, um Eure Apparate überhaupt am Laufen zu halten.

Selbst ausgewiesene Fachleute müssen heute in Online-Foren stundenlang über mögliche Lösungen für Fehlermeldungen brüten. Wie soll ich als Laie da alleine zurechtkommen?

Ehrlichkeit und Transparenz

Verkauft bitte auch Eure Hilfezentren in Bangladesh nicht als Kundenservice: Niemand wird sein nicht funktionierendes Handy dorthin senden. Avatare mit anklickbaren Lösungsvorschlägen, deren Text ich nicht einmal verstehe, empfinde ich – wie tausende andere auch – nur als  Hohn auf meine Unkenntnis.

Und verkauft uns bitte nicht alle für dumm, indem Ihr uns Kündigungsmöglichkeiten nach 30 Tagen offeriert, den entsprechenden Button aber so sicher versteckt, dass wir ihn garantiert nicht finden. Ihr wisst genau, dass wir keine professionellen IT- und Multimedia-Experten sind, keine Kameraleute und Fotographen, Cutter und Gestalter gleichzeitig.

Sagt uns ehrlich, wieviel Zeit wir realistischerweise mit all dem Multimedia-Zeugs verbringen müssen, wenn wir es ordentlich nutzen wollen.  Und veralbert uns nicht mit High Speed-Versprechungen, die sich schon an der nächsten Straßenecke als völlig unrealistisch herausstellen.

Ehrlichkeit, Transparenz und etwas weniger Rumposaunen – das würde irgendwie schon helfen. Doch da dieser Zustand offenkundig noch weit in der Zukunft liegt, habe ich meine Befreiung aus der multimedialen Umklammerung bereits Heiligabend selber in die Hand genommen:

Mit meiner Tochter habe ich eine Tageswanderung auf den Rigi am Vierwaldstättersee gemacht. Ohne meine Verbindungskabel und Adapter, ohne Software-Updates und Speicherplätze. Ich hatte nicht mal meine GoPro-Kamera auf dem Kopf mit dabei.

Und wenn es so weitergeht, finden Sie demnächst auf Ebay 56 hochwertige Anschluss- und Adapterkabel zum Kauf – Sie sollten zugreifen, es ist ein Schnäppchen.

Dr. Klaus-Ulrich Moeller

Dr. Klaus-Ulrich Moeller ist Kommunikationsberater, Kolumnist, Speaker und Autor. Er war PR-Chef bei der Deutschen Lufthansa, der TUI und beim weltweiten Beratungskonzern PricewaterhouseCoopers. Viele Jahre hat er mit Unternehmern im Unternehmernetzwerk Vistage International gearbeitet. Als Journalist schreibt er satirische Kolumnen. Für die Aufdeckung der STERN-Affäre um die gefälschten Hitler-Tagebücher erhielt er den renommierten Theodor-Wolff-Preis. Mehr Informationen unter: www.creative-comm.de.

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