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Supply-Chain-Management: Risiken einplanen, nicht ignorieren!Jede Wertschöpfungskette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Wer den Faktor ‚Risiko‘ zum schwächsten Glied werden lässt, schafft sich damit eine gefährliche Bruchstelle.

Überlegen Sie doch einmal: Was wäre wenn?

Was würde passieren, wenn innerhalb der nächsten drei Jahre die Mautkosten auf europäischen Straßen drastisch angehoben werden, weil Bund und Länder diese Routen einfach nicht mehr kostenlos unterhalten können? Ihre logistische Bilanz könnte sich drastisch verändern.

Einen Transport von China nach Hamburg könnte man sich zwar noch leisten. Ein Transport von Hamburg nach München könnte dann aber schnell deutlich teurer sein als die sehr weite Seeroute und sich nicht mehr rechnen. Und mancher Transport aus Bulgarien, Rumänien oder Russland nach Deutschland per LKW würde sich im Vergleich zur Beschaffung aus China ebenfalls nicht mehr rentieren.

Das klingt nach einem Horrorszenario, ist aber nicht unmöglich: Mit der heutigen Maut werden nicht einmal die rein mechanischen Schäden ausgeglichen, die LKW auf unseren Straßen verursachen. Zudem sind viele Staaten pleite und das wachsende Umweltbewusstsein könnte Mauterhöhungen für LKW politisch legitimieren. Schauen wir der Realität ins Auge: Wir versozialisieren einen Teil der Transportkosten in unserer Gesellschaft, lasten sie der Allgemeinheit und nicht den Verursachern an. Diese Infrastrukturleistung macht durchaus Sinn, weil sie eine Dezentralisierung von Wirtschaft und Wohlstand ermöglicht; doch können wir sicher sein, dass sich daran nichts ändert?

Risiken frühzeitig aufspüren

Nicht nur Spediteure würden unter solch gravierenden Risiken leiden, sondern alle unsere Unternehmen. Wir müssten uns vielleicht wieder verstärkt nach lokalen Lieferanten umsehen oder gar die Produktion näher an die Verbraucher heranbringen. Das konkrete Maut-Beispiel hat im Vergleich zu anderen Risiken in der Supply Chain immerhin einen Vorteil: Diese Veränderung würde eine gewisse Zeit beanspruchen und man könnte deshalb reagieren, wenn sie beginnt, und müsste sich nicht proaktiv auf die Situation einstellen. Doch dafür müssen wir die Augen stets offen halten, um mögliche Risiken rechtzeitig zu erkennen.

Erinnern wir uns an den Beginn der Wirtschaftskrise 2009: Die Transportzeiten von China nach Deutschland verlängerten sich, weil die Frachter langsamer fuhren, um teures Schweröl und Instandhaltungskosten zu sparen (Slow steaming). Nur Unternehmen, die ihre Augen für dieses Risiko geschärft hatten, konnten gerade noch rechtzeitig das sich anbahnende Problem erkennen, mussten aber sofort darauf reagieren. Produktions- und Lieferschwierigkeiten waren aber in dieser Zeit keine Seltenheiten – viele hatten das Risiko vorher nicht richtig eingeschätzt und waren unvorbereitet.

Ignorieren Sie Risiken nicht!

Auf viele Risiken in der Supply Chain, wie z.B. Lieferschwierigkeiten eines Lieferanten oder Ausfall einer wichtigen und nicht ersetzbaren Produktionsanlage können wir leider nicht mehr rechtzeitig reagieren, wenn sie eingetreten sind. Wir müssen uns im Vorfeld auf diese Geschehnisse einstellen, müssen Handlungsalternativen vorbereiten, Sicherheiten aufbauen oder versicherungstechnisch vorsorgen.

Klug wäre es, wenn man sich intensiv mit den Risiken unserer Supply Chains beschäftigt, statt sie zu ignorieren. Trotzdem kümmern wir uns oft zu wenig um die Risiken, die unseren Supply Chains drohen. Gerade in mittelständischen Unternehmen, aber nicht nur dort, wird hierauf viel zu wenig geachtet. Nach meiner Erfahrung verschließen Mittelständler hier oft lieber die Augen.

Ermitteln Sie das schwächste Glied der Wertschöpfungskette!

Laut einer Studie der WHU Koblenz aus 2012 ermitteln nur 6% der Industrie- und Handelsunternehmen Kennzahlen zur Bewertung des Supply-Chain-Risikos und verwenden diese auch in ihrer Planung. Unter den 25 Top-Supply-Chain-Kennzahlen befindet sich keine einzige, die versucht Supply-Chain-Risiken zu bewerten. Da liegt die vorsichtige Vermutung nahe, dass die potenziellen Risiken auch nicht regelmäßig überwacht werden. Ein im Grunde fataler Missstand!

Jede Kette ist nämlich nur so stark wie ihr schwächstes Glied – das gilt auch für die Wertschöpfungskette. Wer Supply-Chain-Riskmanagement zum schwächsten Glied in der Wertschöpfungskette macht, schafft sich damit aber eine äußerst fragile Bruchstelle. Schauen Sie also lieber mal genauer hin.

Prof. Dr. Götz Andreas Kemmner

Götz Andreas Kemmner ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Abels & Kemmner GmbH. Er führte über 120 Projekte in zahlreichen europäischen Ländern in den Bereichen Supply Chain Management, Sanierung und Unternehmenskooperation durch. In zwei Maschinenbau- und Automobilzulieferunternehmen fungierte Prof. Kemmner als Geschäftsführer. Der Fachwelt ist er als Autor bzw. Mitautor von über 190 Veröffentlichungen und Vorträgen, darunter mehrerer Bücher, ein Begriff.

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